Denkmal für Katharina von Zimmern im Kreuzgang des Fraumünsters. (Bild: Roland zh, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Kirche Schweiz

Emanzipation der Frauen à la Zürcher Pfarrblatt

In den kommenden Monaten finden in Zürich aufwendige Jubiläumsfeierlichkeiten statt. Sie gelten der vor 500 Jahren durch die Äbtissin Katharina von Zimmern erfolgten Übergabe des Fraumünsterklosters an die Stadt. Die mit der Reformation einhergehende Verschlechterung der Stellung der Frau wird dabei weitgehend ausgeblendet.

Vor exakt 500 Jahren, 1524 also, übergab die letzte Äbtissin des Fraumünsterklosters, Katharina von Zimmern, die Schlüssel an die Stadt Zürich und besiegelte damit das Endes dieses 853 von Kaiser Ludwig dem Deutschen gegründeten Klosters. Ein Grund zum Feiern? Unbedingt, dekretiert Veronika Jehle in ihrer Eloge auf Katharina von Zimmern (vgl. Zürcher Pfarrblatt forum Nr. 14/2024). Mehr noch: Ein Vorbild gar sei diese Frau, denn bei ihr flössen «Kloster- und Ordensgeschichte, Stadt- und Reformationsgeschichte, Frauen- und Emanzipationsgeschichte auf höchst anregende Weise zusammen».

Angesichts dieser verzerrten Wahrnehmung drängt sich ein Faktencheck förmlich auf. Katharina von Zimmern kam um 1478 in Messkirch als viertes Kind des Freiherrn Hans Werner von Zimmern und der Gräfin Margarethe von Oettingen zur Welt. Die Freiherren hatten auf das falsche Pferd gesetzt: Sie dienten sich Erzherzog Sigismund von Österreich an. Als dieser mit Kaiser Friedrich III. in Streit geriet und dabei den Kürzeren zog, mussten auch die Freiherren von Zimmern für ihre Gefolgschaftstreue büssen. Freiherr Hans Werner flüchtete mit seiner Familie nach Weesen in die Eidgenossenschaft. Seine beiden Töchter Anna und Katherina vertraute er dem Fraumünsterkloster in Zürich an. Diese hochadelige Abtei befand sich im Spätmittelalter in einem stetigen Prozess des Niedergangs, geschuldet vorab der Tatsache, dass nur noch Angehörige des Adels ins Kloster aufgenommen wurden. Damit einher ging auch das Bestreben mancher Adelskreise, ihren Töchtern einen standesgemässen und zugleich ehrenhaften Lebensstandard auf Dauer zu sichern.

Katharina von Zimmern – eine emanzipierte Frau?
Auch bei Katharina von Zimmern dürfte diese materielle Absicherung im Vordergrund gestanden haben und nicht das Bestreben, ein gottgefälliges Leben zu führen. Dass sie bereits intra muros sexuelle Beziehungen unterhielt , ist angesichts der damals herrschenden gesellschaftlichen Zustände anzunehmen: «Vieles deutet darauf hin, dass sie bereits während ihrer Zeit im Kloster eine Tochter zur Welt brachte, die Geburt aber geheim halten konnte», so Felix Reich in seinem forum-Beitrag «Ein Schlüssel zur Veränderung».

Kurz nach ihrem persönlich und gesellschaftsbedingten Klosteraustritt verheiratete sich Katharina von Zimmern mit Eberhard von Reisbach, einem im Dienste des Herzogs von Württemberg stehenden Söldnerführer, was der gegen das Reislaufen wetternde Zwingli wohl als Affront empfunden haben dürfte. Jedenfalls musste sich der wegen «unlauterem Kriegsdienst» geächtete Eberhard von Reisbach zusammen mit seiner Angetrauten ausserhalb von Zürich niederlassen. Dank einer Amnestie kehrte das Ehepaar nach Zürich zurück. An der Seite von Zwingli verlor Eberhard von Reisbach 1531 in der Schlacht von Kappel sein Leben.

Zuvor jedoch hatte sich Katharina von Zimmern anlässlich der Klosterübergabe einen «goldenen Fallschirm» (Felix Reich) aushändigen lassen. Die Stadt gewährte ihr freie Verfügungsgewalt über ihr Vermögen und verpflichtete sich zur Zahlung einer lebenslangen Rente. Für die Beteiligten ein ausgesprochene Win-win-Situation. Die Stadt konfiszierte im Gegenzug entschädigungslos den gesamten Klosterbesitz. (Das Fraumünsterkloster besass Höfe in 30 Dörfern sowie Häuser in der Stadt und Mühlen an der Limmat und an der Sihl). Mit dieser wichtigen Geldquelle finanzierte Zürich das Schulwesen, aber auch Kriegsanleihen und den Erwerb von Herrschaftsrechten. Für die 50 Jahre später erhobene Behauptung Heinrich Bullingers, des «zweiten Reformators von Zürich», die Äbtissin habe die Veräusserung des Klosters an die Bedingung geknüpft, das Klostervermögen müsse zur Bekämpfung der Armut eingesetzt werden, finden sich in den Quellen keinerlei Belege. Es dürfte sich dabei um eine Schutzbehauptung des sich der Unrechtmässigkeit der staatlichen Beschlagnahmung bewusst gewesenen Reformators Bullinger handeln.

Es lässt sich ernsthaft nicht bestreiten: Die respektablen Klostervermögen waren für die damals wie heute chronisch defizitären staatlichen Behörden eine permanente Versuchung, den eigenen Schuldenberg mit einem Schlag loszuwerden oder doch massiv zu reduzieren. Und dies ohne Gewissensbisse, durften sie doch mit dem theologisch unterfütterten Freipass von Luther, Zwingli und Calvin ausgestattet ihren Klosterraub erst noch als gottgefälliges Werk missverstehen.

«Nonnen betrieben die Bank»
Ein anschauliches Beispiel vermittelt Annalena Müller in ihrem NZZ-Beitrag «Nonnen betrieben die Bank» (10. Juli 2024). Gemeint ist das in der Nähe von Basel gelegene Frauenkloster Klingental. Dieses 1233 gegründete Kloster übersiedelte 1274 nach Kleinbasel. Die Klosterfrauen gingen, so Müller in ihrem auf einer Nationalfonds-Studie basierenden Exposé, beim Aufbau ihres Vermögens sehr zielstrebig und strategisch klug vor. Ihr Markenzeichen war ein «sorgfältig kuratiertes Portfolio an Einkünften aus Landbesitz, Immobilien und Krediten». Für die damalige Zeit war Klingental für die ganze Region ein höchst relevanter Wirtschaftsfaktor: «Im 14. und 15. Jahrhundert akquirierte Klingental 182 Häuser und/oder den Grund, auf dem diese standen. Damit erhielt das Kloster Einnahmen aus bis zu 9 Prozent der knapp 2000 Häuser, die es im spätmittelalterlichen Basel gab.»

Die meisten Klosterfrauen stammten aus der kaufmännischen Oberschicht. Der Umgang mit Vermögenswerten war ihnen also sozusagen schon seit Kindsbeinen an vertraut. Annalena Müller bilanziert schon fast euphorisch: «Aus moderner Sicht waren die Basler Klosterfrauen hervorragende Bankerinnen. Ihr diversifiziertes Portfolio, das sie über Generationen aufbauten, ist beeindruckend. In allen relevanten Wirtschaftszweigen ihrer Zeit waren die Frauen aktiv und gingen dabei äussert umsichtig vor. Manch ein CS-Manager hätte wohl von ihnen lernen können.»

Nur folgerichtig, dass sich die Basler Nonnen der Beschlagnahmung ihres blühenden Klosters durch die zur Reformation übergetretene Stadt Basel nach Kräften widersetzten. Der Widerstand war nicht nur und auch nicht primär materiell bedingt. Annalena Müller: «In der Welt ausserhalb der Klostermauern konnten die Klingentalerinnen Ehefrauen und Mütter sein. Im Kloster aber waren sie Managerinnen und Herrinnen ihrer selbst – und vieler anderer.»

Aus dem öffentlichen Leben verdrängt
Damit ist ein zentraler Punkt der Auswirkungen der Reformation auf die Stellung der Frauen in Kirche und Gesellschaft angesprochen. Hatten die Frauen bis zur Reformation die Wahl zwischen einem relativ selbstständigen, eigenverantwortlichen Leben und der Verheiratung, blieb ihnen nach der Reformation nur noch die Rolle als Mutter und Hausfrau.

Als im Jahr 2017 die 500-jährige Wiederkehr von Luthers Thesenanschlag als vermeintliche Geburtsstunde von Offenheit und Emanzipation landauf, landab gefeiert wurde, erhoben die Historikerinnen Mirjam Janett und Jessica Meister Einspruch. Einspruch, weil hinsichtlich der Frauen genau das Gegenteil eintraf: «Die Reformatoren beschneiden die Handlungsspielräume der Frauen. Die Ehe erheben sie zum Ideal, von den Autoritäten penibel überwacht, die nach 1525 über Ehestreit, Ehebruch, vorehelichen Beischlaf und anderes mehr zu urteilen haben. Für die Frau hat das einschneidende Folgen. Sie findet fortan ihre Bestimmung in der Rolle als Hausfrau und Mutter, die ihrem Mann zu Gehorsam verpflichtet ist. Zunehmend verschwindet das «Weib» im privaten Bereich […] Die spätmittelalterliche Stadtgesellschaft hatte noch Alternativen zum Leben als Ehefrau gekannt: Die von der Reformation aufgehobenen Klöster bildeten einen wichtigen Freiraum für Frauen, in dem sie sich Bildung aneignen, ein selbstbestimmtes unverheiratetes Leben führen oder gar – wie Katharina von Zimmern – Macht und Einfluss erlangen konnten» («Die Revolution frisst die Mädchen», Tages-Anzeiger vom 1. November 2017).

Irene Gysel fasst in ihrem Beitrag «Knospen im Herbst – Frauen und die Reformation» (in: «Verfolgt, Verdrängt, Vergessen? Schatten der Reformation», hrsg, von Peter Niederhäuser) diesen Paradigmenwechsel wie folgt zusammen: «Auf die Reformation folgte für Frauen eine finstere Zeit. Etwas zugespitzt gesagt, waren das 16. und 17. Jahrhundert für die Frauen wohl die schlimmsten zwei Jahrhunderte in der europäischen Geschichte. Man müsste nicht vom finsteren Mittelalter sprechen, sondern von der finsteren Frühen Neuzeit.»

Es blieb Regierungsrätin Jacqueline Fehr vorbehalten, in der Kantonsratsdebatte um einen Zuschuss aus dem Lotteriefonds an die Reformationsfeiern den Nachfolger Zwinglis, Heinrich Bullinger, zu zitieren: «Die Frau darf das Haus ohne Erlaubnis ihres Mannes nicht verlassen ... nur wenn es unvermeidlich ist, etwa zum Einkaufen … wie eine Schildkröte, die ihren Kopf nur kurz aus dem Panzer hervorstreckt» (Tages-Anzeiger vom 8. November 2016).

Der Befund ist eindeutig, lässt sich schlicht nicht abstreiten: Die Reformation verschlechterte die Stellung der Frau massiv.

In einem aufwendigen, mehrere Monate dauernden Jubiläum soll nun an die vor 500 Jahren erfolgte Übergabe des Fraumünsterklosters an die Stadt Zürich erinnert werden. www.katharina2024.ch gibt Auskunft über die zahlreichen geplanten Aktivitäten. Im Zentrum steht der «weise Entscheid» der Äbtissin Katharina von Zimmern, mit dem sie einen Bürgerkrieg verhindert habe. Auch wenn gute Gründe dafür sprechen, so muss diese Annahme schliesslich doch Spekulation bleiben. Ebenso, wie freiwillig der Übergabeentscheid von Katharina von Zimmern angesichts des enormen Drucks seitens der damaligen staatlichen und kirchlichen Behörden tatsächlich war.

Die Tatsache, dass sich im Gefolge der Reformation die Stellung der Frau signifikant verschlechterte, scheint im Rahmen der angekündigten Jubiläumsveranstaltungen keine oder nur eine marginale Rolle zu spielen. Dies kommt einer veritablen Geschichtsklitterung gleich. forum, das Pfarrblatt der Zürcher Katholikinnen und Katholiken, klittert tatkräftig mit.


Niklaus Herzog
swiss-cath.ch

E-Mail

Lic. iur. et theol. Niklaus Herzog studierte Theologie und Jurisprudenz in Freiburg i. Ü., Münster und Rom.


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