Abbé Jacques Sawadogo. (Bild: Rosmarie Schärer/swiss-cath.ch)

Weltkirche

«In Burkina Faso verbinden wir alles mit Gott»

Burkina Faso galt früher als eine Oase des Friedens, in der die verschiedenen Religionen harmonisch zusammenlebten, doch seit einigen Jahren verbreiten radikalislamische Gruppen Terror und Gewalt. Mehr als zwei Millionen Bewohner des Landes sind Binnenflüchtlinge und über 6000 Schulen mussten geschlossen werden.

Vom 21. bis 26. Juni besucht Abbé Jacques Sawadogo die Schweiz und erzählt von der Situation in seinem Heimatland. «swiss-cath.ch» nutzte die Gelegenheit, um mit ihm über die Kirche in Burkina Faso, die aktuellen Probleme, aber auch die Situation der Kirchen in Frankreich und Deutschland zu sprechen.

Können Sie uns etwas über die Katholische Kirche in Burkina Faso erzählen?
Wir sind eine noch junge Kirche: Burkina Faso wurde um 1900 durch die «Weissen Väter» evangelisiert. Heute existieren 13 grosse Bistümer und wir haben ein «Philosophicum» sowie zwei «Theologicum» für die Priesterausbildung. Aktuell gibt es viele Priesteramtskandidaten, was uns sehr freut. Es gibt bei uns noch immer ein «Kleines Seminar» für Jungen, die Priester werden möchten. Auch wenn viele von ihnen sich später anders entscheiden, so werden sie durch das Seminar zu guten Christen in der Gesellschaft.

Die Regierung und viele Menschen haben Vertrauen in die Kirche, da sich die Kirche als Erste für die Schulbildung und die Krankenpflege eingesetzt hat. Es waren vor allem die «Weissen Väter» und die «Weissen Schwestern» – wir nennen sie «Soeurs missionaires de Notre Dame d’Afrique» – die hier wirklich viel geleistet haben, nicht nur für die Kirche, sondern für die ganze Gesellschaft.
Seit ungefähr 20 Jahren sind alle Bischöfe aus Burkina Faso selbst und heute sind auch fast alle Priester Einheimische. Selbstverständlich gibt es noch einige religiöse Ordensleute, die aus dem Ausland kommen.

Von den rund 20 Millionen Einwohnern sind 60 Prozent Muslime und ungefähr 18 Prozent Christen, die meisten davon Katholiken.

Seit 2015 erlebt Burkina Faso einen beispiellosen Anstieg des Terrorismus. Die Konfliktbeobachtungsstelle ACLED registrierte im Jahr 2023 für Burkina Faso rund 1700 bewaffnete Angriffe und 8000 Tote.
Ausgelöst durch die Ermordung des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi im Oktober 2011 und die Erstarkung der Konflikte in Mali kam es in Burkina Faso zu Angriffen durch islamistische Terroristen. Dies hat im Norden des Landes begonnen, jetzt gibt es fast im ganzen Land immer wieder Anschläge. Christen werden ermordet, Priester angegriffen und ebenfalls ermordet. In meinem Bistum Ouahigouya mussten wir vier Pfarreien schliessen, da es zu gefährlich für die Christen wurde. Die Terroristen kommen, wenn sich die Christen zum Gebet versammeln, töten sie und zerstören die Kirche. Es ist wirklich schlimm.

Inzwischen sind über 30 Pfarreien geschlossen, vor allem in den nördlichen und östlichen Regionen des Landes. Gibt es Möglichkeiten, die Menschen vor Ort zu unterstützen?
Die Bistümer versuchen im Kontakt mit den Christen dieser Pfarreien zu bleiben. In meinem Bistum gibt es eine Pfarrei, in die der Priester nur in Begleitung der Armee hingehen kann. Es sind noch immer einige Christen da, weil sie nicht wissen, wohin sie gehen könnten. Wir haben ein Radio, das für diese Menschen sehr wichtig ist. So können sie am Radio mitbeten, aber leider nicht die Kommunion empfangen. Der Pfarrer dieser Gemeinde war zusammen mit mir im Priesterseminar. Er geht einmal pro Monat oder alle zwei Monate in die Pfarrei, um mit den Gläubigen die Heilige Messe zu feiern. Dies ist aber wie gesagt nur möglich mit einem Begleitschutz der Armee. Manchmal kann er auch mit einem Helikopter der «Vereinten Nationen» mitfliegen, wenn diese Getreide in die Dörfer bringen. Auch unser Bischof versucht, mindestens einmal im Jahr diese Pfarreien zu besuchen. Das ist nicht einfach, denn der Begleitschutz durch die Armee respektive der Flug mit dem Helikopter ist sehr teuer.
Wir hatten an diesen Orten auch katholische Schulen. Diese mussten wir alle schliessen, da es zu gefährlich für die Schüler und die Lehrer wurde.
Die Gläubigen in diesen Pfarreien versammeln sich auch in Abwesenheit des Pfarrers, um gemeinsam zu beten. Sie sind wirklich sehr mutig! Sie sind von ihrem Glauben überzeugt und bleiben ihm treu, trotz dieser Terroranschläge. Wir beten für sie.
 


Bischof Justin Kientega (Bistum Ouahigouya) spricht in diesem Zusammenhang von Christenverfolgung, Bischof Laurent Birfuoré Dabiré (Bistum Dori) erklärt hingegen, es sei kein religiöser Konflikt.
Beide haben Recht. Es werden nicht nur Christen verfolgt; diese Terroristen haben auch einige Moscheen zerstört. In Burkina Faso gibt es ein gutes Miteinander von Christen und Muslimen, in vielen Familien gibt es sowohl Christen wie Muslime. In meiner eigenen Familie ist zum Beispiel meine ältere Schwester mit einem Muslim verheiratet. Sie haben zwei Kinder, beide sind getauft. Die Frau meines älteren Bruders war eine Muslima. Fünf Jahre nach der Heirat besuchte sie den Katechumenatskurs und ist jetzt getauft. Die islamistischen Terroristen wollen uns gegeneinander aufhetzen, doch wir versuchen, uns nicht spalten zu lassen.

Bischof Kientega hat in dem Punkt recht, dass mehrheitlich Christen unter den Angriffen leiden. Im Verhältnis sind die Christen öfters Ziel der Angriffe und es wurden mehr Priester als Imame getötet. Auch können die Muslime in ihren Dörfern bleiben. Der Grund dafür liegt darin, dass für die Terroristen das Christentum eine Religion des Westens ist; es ist die Religion der Kolonialherren. Die Extremisten erachten die westliche Kultur als schlimm, da diese in ihren Augen viele Dinge kaputtmacht. Sie sind davon überzeugt, dass allein ihr Weg, ihr Glaube der richtige ist: Es ist besser, Allah zu folgen als dieser kaputten weltlichen Kultur.

Gibt es gemeinsame Aktion von Christen und Muslimen gegen den Terror?
Die Bischöfe und die Imame treffen sich regelmässig, um über Lösungen zu sprechen. Sie kommen aber auch zum Gebet zusammen. Zum Beispiel gehen am Ramadan Bischöfe, Priester oder Katecheten zu den Muslimen, um ihnen zu gratulieren. Umgekehrt kommen manchmal Imame zu Priesterweihen, um den Neupriestern zu gratulieren. Die meisten Menschen in Burkina Faso sind der Meinung, dass wir alle zum gleichen Gott gehören, zum Gott Abrahams, und die Botschaft dieses Gottes ist die Liebe. Das sehen die islamistischen Terroristen, die eine Minderheit darstellen, aber natürlich anders.
 


Zum Schluss eine ganz andere Frage: Sie kennen die Situation in Burkina Faso, in Frankreich und jetzt in Deutschland. Was verbindet diese Ortskirchen, was unterscheidet sie?
Was überall gleich ist: Wir alle folgen Jesus Christus, er ist unser Vorbild, unser Retter. Aber in jedem Land gibt es Unterschiede, die meines Erachtens vor allem geschichtliche Hintergründe haben.
In Burkina Faso verbinden wir alles mit Gott. Wir kennen z. B. das Wort «Auf Wiedersehen» nicht. Wir sagen «Möge Gott, dass wir uns morgen sehen» oder statt «Alles Gute» «Möge Gott dich begleiten». So steht Gott bei uns immer im Zentrum. Eine andere Eigenheit ist, dass es in Burkina Faso üblich ist, einer Religion anzugehören. Atheisten kennen wir eigentlich nicht. Es ist auch normal, zur Messe zu gehen. Im Dorf meiner Eltern leben fast ausschliesslich Muslime. Wenn mein Bruder, der im gleichen Dorf lebt, ein paar Sonntage hintereinander nicht zur Messe gehen würde, würden vermutlich meine Mutter nichts sagen, aber die muslimischen Nachbarn würden nachfragen: «Du gehst nicht mehr zur Kirche. Glaubst du nicht mehr an Gott?» Wir sind aber noch immer eine junge Kirche! Von daher ist es schwierig, Vergleiche anzustellen.

Frankreich ist durch die Französische Revolution und das Gesetz von 1905 geprägt, das die Trennung von Kirche und Staat erklärte. In den 1970er-Jahren wurde das Zweite Vatikanische Konzil von den Katholiken so umgesetzt, dass alles erlaubt, alles geöffnet wurde. Diese Einstellung hat sich in den letzten Jahren geändert. In den sechs Jahren, in denen ich in Frankreich als Priester tätig war, entstand unter den jungen Menschen die Sehnsucht nach «mehr Glauben». Sie haben die Dokumente des Zweiten Vatikanums gelesen und festgestellt, dass dieses keinen Bruch wollte, sondern eine Kontinuität. In meiner Pfarrei waren viele Jugendliche, die wirklich vom Glauben überzeugt waren. An Pfingsten reiste ich wieder nach Frankreich, da ich Firmpate war. In Frankreich gab es dieses Jahr über 17 000 Firmanden. Das tut gut.

Was kann man zur Kirche in Deutschland sagen? Die Gesellschaft ist stark durch Martin Luther beeinflusst. Ich finde die Ökumene, diesen Dialog zwischen den Konfessionen, gut. Aber wir Ausländer haben unsere Anfragen an den «Synodalen Weg» in Deutschland. Als ich dieses Jahr an Ostern zu Hause in Burkina Faso war, wurden mir viele Fragen dazu gestellt. Manche Menschen waren richtig aufgebracht. Sie sagten: Die deutschen Bischöfe werden in der Kirche alles kaputtmachen. Was soll das mit dieser Homosexualität, Frauen, die Priester werden wollen, dieser Segen? «Fiducia supplicans» ist für die Menschen in Burkina Faso eine Katastrophe.
Es ist schwierig, den «Synodalen Weg» von aussen zu beurteilen. Das Wichtigste ist, dass wir zusammenkommen, uns Zeit füreinander nehmen, dass wir in den Dialog kommen. Wenn ich in der Heiligen Messe nach dem Vaterunser um Einheit und Frieden bete, was bedeutet das? Ist unsere Kirche wirklich «eins»? Das ist eine grosse Frage für mich. Priester beten jeden Tag dafür, dass Christus uns diese Einheit schenkt. Welche Bemühungen unternehmen wir alle, dass diese Einheit wirklich kommt? Wir können verschieden sein, aber das Wichtigste ist, dass wir Gott lieben und einander lieben.
 

«Kirche in Not» unterstützt verschiedene Projekte in Burkina Faso. «swiss-cath.ch» fragte bei Ivo Schürmann, Head of Communication, nach.

Infolge der Terrorangriffe ziehen sich viele ausländische Hilfsorganisationen aus den betreffenden Gebieten zurück. «Kirche in Not» ist immer noch aktiv. Wie kommt das?
Hilfswerke sind oft mit eigenen Angestellten vor Ort. Diese müssen sie natürlich vor den Terrorangriffen schützen und sich deshalb aus diesen Orten zurückziehen. «Kirche in Not» hat hingegen keine eigenen Angestellte, sondern unterstützt die Kirche vor Ort. Solange die Kirche präsent ist, sind wir auch präsent.

Welche Projekte unterhält «Kirche in Not» zurzeit in Burkina Faso?
Wir unterstützen in Burkina Faso wie in vielen anderen Ländern die Priesterausbildung, Ordensschwestern, den Bau von neuen Kirchen usw. Die Hilfe für Burkina Faso hat sich aber in den letzten zehn Jahren etwa verfünffacht, da es im Land inzwischen rund 2 Millionen Binnenflüchtlinge gibt, das sind rund 10 Prozent der Bevölkerung. Die Regierung ist infolge der Terrorangriffe geschwächt und kann sich nicht um diese Flüchtlinge kümmern. Viele von ihnen finden Unterschlupf in Pfarreien – unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit. Hier helfen wir durch unsere finanzielle Unterstützung.

Abbé Sawadogo erzählte im Interview von den guten Beziehungen zwischen Christen und Muslimen.
Die Katholische Kirche in Burkina Faso ist jung, gerade einmal etwas mehr als 100 Jahre alt. Den Islam gibt es hingegen schon seit über 800 Jahren. Interessant ist, dass es wirklich ein sehr friedliches Zusammenleben zwischen den Religionen gibt: zwischen Christen, Muslimen und Anhängern von traditionellen Religionen. Es ist üblich, dass man die Religion ohne Probleme wechseln kann. Dies wird in der Regel auch von den Familien akzeptiert. So gibt es Muslime, die zum katholischen Glauben gefunden haben, dann auch noch Theologie studierten und später Priester wurden. Das ist etwas sehr Schönes. Diesem friedlichen Zusammenleben stehen diese islamistischen Terroristen entgegen, die aus Burkina Faso einen islamistischen Staat machen möchten.
 

Abbé Jacques Sawadogo (* 1980) studierte in Burkina Faso und Ghana Philosophie und Theologie. 2008 empfing er die Priesterweihe und war dann unter anderem in Burkina Faso in einem Priesterseminar als Dozent tätig. Ab 2016 wirkte er als Seelsorger in verschiedenen Pfarreien in Frankreich, eher er 2022 nach Deutschland ging, um an der Theologischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt am Main Dogmatik zu vertiefen.
 

«Kirche in Not (ACN)» ist ein internationales katholisches Hilfswerk päpstlichen Rechts, das 1947 als «Ostpriesterhilfe» gegründet wurde. Es steht mit Hilfsaktionen, Informationstätigkeit und Gebet für bedrängte und Not leidende Christen in ca. 130 Ländern ein. Seine Projekte sind ausschliesslich privat finanziert. Das Hilfswerk wird von der Schweizer Bischofskonferenz für Spenden empfohlen.


Rosmarie Schärer
swiss-cath.ch

E-Mail

Rosmarie Schärer studierte Theologie und Latein in Freiburg i. Ü. Nach mehreren Jahren in der Pastoral absolvierte sie eine Ausbildung zur Journalistin und arbeitete für die Schweizerische Kirchenzeitung SKZ.


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