(Bild: ecv5/flickr, CC BY-NC-ND 2.0 Deed)

Weltkirche

Kardinal Kurt Koch: Synodalität ist viel anstrengender als Demokratie

Am Dienstag, Mittwoch und Donnerstag hat die Weltbischofssynode ihre Beratungen über die Vielfalt der religiösen Wahrnehmung in den Regionen bei hoher Beteiligung fortgesetzt. Über die Voten in den kleinen Gesprächsgruppen, den «circuili minores», wird jeweils an den täglichen Pressekonferenzen in einem Überblick berichtet.

An der Mittwoch-Pressekonferenz bekannte der an der Synode auf Ernennung des Papstes als ein Vertreter Nordamerikas teilnehmende kanadische Kardinal Lacroix, dass er von den Voten aus allen Weltteilen beeindruckt und bereichert sei. Der methodologische Kern der aktuellen Weltbischofssynode liegt im Austausch der vielfältigen Wahrnehmungen aus den Regionen. In den vorherigen fünfzehn Bischofssynoden wurde jeweils bemängelt, dass die teilnehmenden Bischöfe sich nicht genügend äussern konnten.

Eine brasilianische Sicht
Sonia Gomes de Oliveira vom «Nationalen Rat der Laien» von Brasilien wies in ihrem Einführungsbeitrag auf die Bedeutung der Synodalität in ihrem Land hin. Der gemeinsame Weg mit den Marginalisierten, den Indigenen, den geschlagenen, besonders oft schwarzen Frauen, den Prostituierten und den Gefangenen stärke deren Kraft zum Leben und zur Sorge für sich und ihre Kinder. «Es gibt viele Orte des Schmerzes und des Leidens, an denen die Präsenz der Kirche wichtig ist, und oft haben wir nicht genug Priester, Bischöfe und Laien, die bereit sind, dies zu tun, viele, weil sie den Reichtum nicht kennen, den es bedeutet, an die Peripherie zu gehen, andere, weil sie nicht glauben, dass es die Aufgabe der Kirche ist, dort zu sein. Es ist dringend notwendig, Laien, Diakone und Priester auszubilden, um dort zu sein, zu leben und zu bezeugen, dass sie Kirche sind. Zur Kirche Jesu zu gehören bedeutet, den Weg zu gehen, den er gegangen ist. Meine Taufe muss mich dazu führen, das Reich zu suchen, das oft nicht das Reich dieser Erde ist  […] Es geht darum, die Liebe an die erste Stelle zu setzen, denn heute verlieren wir uns in Kleinigkeiten und vergessen das Wesentliche: sie Gegenwart Jesu zu sein; sie Kirche im Herzen der Welt zu sein.»

Zur Katholischen Kirche in Asien
P. Clarence Davedassan aus Malaysia hob in seinem Beitrag zur Frage: «Wie können wir noch stärker zu einem Zeichen und Werkzeug der Vereinigung mit Gott und der Einheit der ganzen Menschheit werden?» hervor, dass der Anteil der Katholiken in Asien oft als klein und unbedeutend angesehen wird – unter den vier Milliarden Menschen in Asien sind 3,31 % Katholiken –, «aber wir betrachten uns als einzigartigen und wertvollen Teil nicht nur der Kirche, sondern auch des Aufbaus und der Veränderung der menschlichen Gesellschaft. In vielen Teilen Asiens übernimmt die Kirche eine Vorreiterrolle im Dienst der ganzheitlichen menschlichen Entwicklung und des Gemeinwohls, vor allem in den Bereichen Bildung, Gesundheitsfürsorge und im Einsatz für die Armen und Randgruppen der Gesellschaft über die Grenzen unserer Kirchen hinaus.» P. Davedassan erwähnte besonders den Aufbau katholischer Basisgemeinschaften. Diese «bewirken nicht nur eine geistliche, sondern auch eine soziale Umgestaltung. Sie sind die Leuchttürme der Hoffnung für das Zeugnis des Evangeliums in der Gesellschaft […] sie kümmern sich um die Armen und setzen sich dafür ein, die Gesellschaft durch eine gelebte Erfahrung des Evangeliums zu verändern. Diese Gemeinschaften demonstrieren eine Gemeinschaft, die auf Christen und Nichtchristen gleichermassen ausstrahlt. Sie sind unsere sichtbaren Zeichen für eine synodale Kirche.» P. Davedassan wies indes auch darauf hin, dass Katholiken und andere Christen in asiatischen Ländern einer zunehmenden religiösen und sozialen Intoleranz ausgesetzt sind, die zur Verschlechterung der Lebensbedingungen, zu Verfolgung und sogar zur Bedrohung des menschlichen Lebens führt. Die Kirchen Asiens würden indes, obwohl sie eine Minderheit seien und oft unter schwierigen Bedingungen lebten, durch ihre Gemeinschaft, Teilhabe und Mission eine Hoffnung für die Zukunft sehen.

Unterweisung des Patriarchen von Antiochien
Der maronitische Patriarch von Antiochien und des ganzen Orients, Kardinal Béchara Boutros Raï, O.M.M., Oberhaupt der seit Ende des 16. Jahrhunderts mit der Katholischen Kirche unierten syriakisch-maronitischen Kirche, bezog sich in seiner Predigt an die Teilnehmenden der Synode auf das Wort Jesu: «Die Ernte ist gross, doch es gibt nur wenige Arbeiter.» Die Ernte, zu deren Einbringung alle Katholikinnen und Katholiken aufgerufen seien, sieht Kardinal Raï in wesentlichen Bereichen des Lebens: im gerechten Frieden, wo die Welt in blutigen Kriegen steckt, in der Sorge für die Natur, die durch den Klimawandel bedroht ist, im Einsatz für ein Wirtschaftssystem, das keine Ausbeutung, keine Ungerechtigkeit und keine Verschwendung kennt, in der Unterstützung derjenigen, welche verfolgt werden, in der Heilung der Wunden der Missbräuche, des sexuellen, des wirtschaftlichen, des institutionellen, der Macht, der Gewissensverletzungen.

Besondere Feldarbeiten ortet Kardinal Raï im Einsatz für die Menschenwürde, in der Umsetzung einer Kultur der Begegnung und des Dialogs mit anderen Religionen, in der prioritären Unterstützung der Armen, der Marginalisierten, der Menschen mit Behinderungen, in der Förderung des pastoralen Beistands für wiederverheiratete Geschiedene und für Menschen in polygamen Ehen, in der besonderen, auch strategischen Pastoral für junge heranwachsende Menschen und in der Wertschätzung der älteren Menschen in den christlichen Gemeinschaften und Gesellschaften. Da die Arbeiter wenige sind, rief er die Teilnehmenden der Synode und allgemein die Bischöfe, die Priester, die Diakone, die geweihten Frauen und Männer und alle getauften Laien als von Christus Gesandte und vom Heiligen Geist Geführte auf, beim Einbringen der Ernte mitzuhelfen. Er schloss mit dem Bekenntnis: «Christus hat jeden einzelnen von uns beseelt, die Wunden der Welt zu heilen und sich für eine bessere Welt einzusetzen, damit wir in unserem gemeinsamen Haus in Frieden und Ruhe leben können.»

Ein kurzes Statement von Kardinal Koch
Kardinal Kurt Koch nimmt als Präfekt des päpstlichen Einheits-Dikasteriums von Amts wegen an der Weltbischofssynode teil. Gegenüber «Vatican News» äusserte er sich heute in einem kurzen Statement zum Thema der Synode: «Synodalität, wenn man sie ernst nimmt, heisst, so lange miteinander ringen, bis keiner mehr den Eindruck hat, das widerspricht dem Glauben.» Synodalität sei deshalb auch «viel anstrengender als die Demokratie».

Die Missbrauchsproblematik und die Weltbischofssynode
Die Päpstliche Kommission für den Schutz der Minderjährigen «Tutela Minorum» richtete anlässlich der kürzlichen Ernennung der neuen Kardinäle ihren dringenden Appell auch an die Weltbischofssynode, den integralen Schutz vor Missbräuchen als prioritäres Traktandum zu behandeln. Der vatikanische Pressedienst veröffentlichte diese Woche die Forderungen erneut.

Die Päpstliche Kommission, die im Jahr 2013 eingesetzt wurde, führt in ihrem dringenden Appell aus: «Als Päpstliche Kommission zum Schutz Minderjähriger bringen wir unsere tiefe Trauer und unsere unerschütterliche Solidarität vor allem gegenüber den Opfern und Überlebenden so vieler abscheulicher Verbrechen zum Ausdruck, die in der Kirche begangen wurden.» Die Päpstliche Kommission zeigt sich beunruhigt über Berichte von Handlungen von Personen in verantwortlichen Ämtern innerhalb der Kirche, über die Schreie der Betroffenen sowie über das Erbe abscheulichen Verhaltens von Laien- und anderen Bewegungen und so vielen Bereichen des institutionellen Lebens der Kirche.

Die Teilnehmenden der Weltbischofssynode und die Kardinäle werden aufgefordert, «auf den Tag hinzuarbeiten:

  • an dem alle Ämter in der Kirche zu Orten der Aufnahme, des Mitgefühls und der Versöhnung für diejenigen werden, die von Missbrauch betroffen sind;
  • an dem unsere Kirche die volle Verantwortung für das Unrecht übernimmt, das so vielen in ihrer Obhut zugefügt wurde;
  • an dem alle Kinder durch geeignete Sicherheitsrichtlinien und -verfahren geschützt sind, die bekannt und überprüft sind;
  • an dem transparente und zugängliche Wiedergutmachungssysteme für Fehlverhalten der Amtsträger der Kirche nach allgemein akzeptierten Standards funktionieren;
  • an dem alle in unserer Kirche die Verantwortung für einen umfassenden Schutz in Diözesen, Pfarreien, Schulen, Krankenhäusern, Exerzitienzentren, Ausbildungshäusern und allen anderen Orten, an denen die Kirche präsent und aktiv ist, verstehen und Verantwortung dafür übernehmen.»

Über die konkreten Massnahmen, welche die Weltbischofssynode in ihren weiteren Beratungen vorschlägt, werden wir berichten. Die Beratungen der Weltbischofssynode in Rom dauern bis zum 28. Oktober 2023 an.

Kommentar
Der Appell der «Päpstlichen Kommission für den Schutz Minderjähriger» ist ein starkes Signal an die Weltbischofssynode, weitere Instrumente zur Verhinderung neuer Missbrauchsfälle zu schaffen und die opferzentrierte Aufarbeitung der erfolgten Missbräuche voranzutreiben. An diesen Ergebnissen wird der Erfolg der Weltbischofssynode von den katholischen Gläubigen und der weiteren Öffentlichkeit gemessen. Den Generalverdacht, dem sich die geweihten Männer und Frauen der Kirche heute durch die sich überbietenden Schilderungen von Missbrauchsfällen ausgesetzt sehen, wird die Weltbischofssynode aus der Welt zu räumen haben. Damit wird die Katholische Kirche ihre Sendung, die sie von ihrem Gründer empfangen hat, mit erneuerter Kraft für die Gemeinschaften in den Regionen, für die Welt und das Zusammenleben der Völker in Frieden und Eintracht, aber auch für jeden einzelnen Gläubigen, weiter erfüllen können.

Dass innerhalb der Katholischen Kirche Aufbrüche möglich sind, zeigt der Beitrag des Patriarchen von Antiochien. Dass er für eine verbesserte Pastoral der geschiedenen Wiederverheirateten und anderer Formen des Zusammenlebens das Wort redet, überrascht, lässt aber gleichzeitig Raum erwarten, dass unbeschadet der unaufgebbaren Lehre von der Unauflöslichkeit der sakramental geschlossenen Ehe veränderten soziologischen Begebenheiten Rechnung getragen werden kann.

Kardinal Kurt Koch weiss, was er sagt, wenn er davon spricht, dass Synodalität anstrengender als Demokratie ist. Bevor er zum Kurienkardinal berufen wurde, war er von 1995 bis 2010 Bischof von Basel. Hier gehörte der Umgang mit den demokratisch verfassten staatskirchenrechtlichen Körperschaften zu seinen Amtsaufgaben. Die Synodalität fordert die staatskirchenrechtlichen Behörden und das in der Schweiz vielerorts herrschende duale System heraus. Kardinal Kochs Votum hörte sich an wie eine Warnung vor dem Missbrauchspotenzial, das der Verfügungsmacht staatskirchenrechtlicher Organe über die Kirchenfinanzen inhärent ist.


Franz Xaver von Weber


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    Erich Häring 13.10.2023 um 07:16
    Die Bemerkung über staatskirchenrechtliche Gremien ist richtig, genauso inhärente Gefahren bestehen bei einem hierarchischen System, das über jegliche Beratung hinweg geht und diktatorisch selbst Entscheidungen fällt.
    • user
      Martin Meier-Schnüriger 14.10.2023 um 11:09
      Diesem Kommentar wohnt leider ein weit verbreiteter Denkfehler inne: Die geweihten Amtsträger in der katholischen Kirche sind nicht deren Herren, sondern Diener im Dienst des Herrn. Folglich fällen sie nicht "diktatorische" Entscheide, sondern interpretieren die Lehre Jesu Christi im Licht der Heiligen Schrift, der Tradition und des kirchlichen Lehramtes. Wenn z.B. der hl. Papst Johannes Paul II. erklärt hat, die Kirche habe keine Möglichkeit, Frauen zu Priesterinnen zu weihen, so tat er das nicht willkürlich oder diktatorisch, sondern nach reiflicher Überlegung, verankert im Gebet und, wie gesagt, in Übereinstimmung mit den drei katholischen Offenbarungsquellen.
      Wer der Kirche Willkür und Machtgehabe unterstellt, sollte sich einmal die simple Frage stellen, warum denn die kirchlichen "Machthaber" es sich immer wieder antun, unbequeme Entscheidungen zu treffen, die sie in der breiten Öffentlichkeit eher unbeliebt machen. Echte Diktatoren schielen auf die Volksgunst, jedenfalls so lange, bis sie fest im Sattel sitzen. Echte Hirten der Kirche dagegen verkünden die Frohe Botschaft Gottes, gelegen oder ungelegen!
  • user
    Stefan Fleischer 13.10.2023 um 05:30
    Und wo bleibt das Kreuz? Wlo bleibt die Erlösung aus Sünde und Schuld, für die unser Herr Mensch geworden ist? Ist das jene geforderte andere, neue Kirche, eine Kirche, welche sich selbst zu befreien bemüht, und darob das ewige Heil der Seelen sträflich vernachlässigt?