Caterina von Siena tauscht ihr Herz mit dem von Christus, Giovanni di Paolo, 1475, Ausschnitt. (Bild: MET)

Hintergrundbericht

Sommerliche Blutmystik mit Caterina von Siena

Traditionell waren Juli und August dem Blut Christi gewidmet. Diese Blutfrömmigkeit ist uns heute weitgehend abhandengekommen. Zeit also, sich unter Anleitung der Meisterin der Blutmystik, Caterina von Siena, der theologischen und mystischen Bedeutung des Blutes unseres Herrn wieder anzunähern.

«Blut! Blut! – Vater, in deine Hände empfehle ich meinen Geist» waren die letzten Worte Caterinas von Siena, als sie am Sonntag, den 29. April 1380, verstarb. Das Blut Christi spielte für Caterina von Siena, die sich selbst «Magd der Diener Christi in seinem kostbaren Blut» nannte, in ihrer Frömmigkeit eine wichtige Rolle. Ihre Blut- und Todesmystik sind uns heute eher fremd, aber besonders die Blutfrömmigkeit kennt eine lange Tradition in der Kirche. Gerade im Monat Juli lohnt sich womöglich ein genauerer Blick auf diese, denn der Juli war früher besonders der Verehrung des Blutes Christi gewidmet.
Die Blutfrömmigkeit entstand im 11./12. Jahrhundert aus zahlreichen lokalen Festen, die in Zusammenhang mit Blutreliquien in Italien und Frankreich standen. Im 19. Jahrhundert gab es sogar das gesamtrömische Fest des Heiligen Blutes Christi, das zuerst am 10. August und später am 1. Juli begangen wurde. Im Verlaufe der Reform des römischen Kalenders in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde dieses Fest gestrichen, da es sich im Wesentlichen mit Fronleichnam («Hochfest des Leibes und Blutes Christi») doppelt. Mit Caterina von Siena, die bis heute zu begeistern vermag, lässt sich ein neuer Anschluss an die Bedeutung des Blutes Christi finden.

Eine Heilige, die alle Schablonen sprengt
Rund 80 Jahre nach ihrem Tod wurde Caterina von Siena 1461 heiliggesprochen; es folgten die Ernennung zur Schutzpatronin Italiens (1939), zur Kirchenlehrerin (1970) und zur Co-Patronin Europas (1999). Die zahlreichen postmortalen Ehrungen deuten auf Caterinas reiches Wirken zu Lebzeiten und auf ihre schillernde Persönlichkeit hin. Der Schweizer Autor und Hagiograph Walter Nigg versuchte das komplexe Leben und Wirken sowie die vielschichtige Person Caterinas mit dem Begriff «Mysterienspiel» einzuordnen. Also mit diesen von der Liturgie inspirierten geistlichen Schauspielen des Mittelalters, die oftmals vor Kirchenportalen aufgeführt wurden. In diesen Aufführungen wurden die biblischen Geschichten lebendig nacherzählt und so das Heilshandeln Gottes den Zuschauern einprägsam vor Augen geführt. Tatsächlich entspricht es der hagiographischen Tradition, Heilige in ihrer Christusförmigkeit zu zeigen; vor Augen zu führen, wie Leben und Wirken der Heiligen auf Gott verweisen. Doch gerade bei Caterina von Siena versagen viele der in Hagiographien üblichen Schablonen, wie jene der heiligen Jungfrau, Mutter, Königin usw. Caterina war Friedensförderin, aber forderte einen neuen Kreuzzug; sie kritisierte Papst und Klerus mit äusserster Schärfe, aber liess nie den geringsten Zweifel an der Hochschätzung von Amt und Weihe erkennen; sie war Analphabetin (oder lernte eventuell erst sehr spät notdürftig Lesen und Schreiben), aber ist eine der produktivsten und bestüberlieferten mittelalterlichen Autorinnen; sie war weder Klosterfrau noch gut gebildet, aber bewies selbst bei inquisitorischen Befragungen ein tiefes Verständnis der Theologie; und sie war von enormen kirchenpolitischen Einfluss, obwohl man sie in erster Linie als Mystikerin verstehen muss. Sie glich in vielem den alttestamentlichen Propheten und Richtern Israels, lebte aber das Neue Testament in seltener Radikalität.

Der «Dialogus» und die Spiritualität Caterinas
Nebst ihrem grossen Briefkorpus und einigen bedeutenden zeitgenössischen Schriften über sie bietet vor allem ihr geistliches Hauptwerk «Der Dialog – Ein Gespräch mit Gott über seine Vorsehung» einen vielversprechenden Zugang zu Caterina von Siena. Hier lernen wir Caterina von Siena primär als Mystikerin und geistliche Meisterin kennen. Caterinas Glaube und ihre Gottes- und Christusbeziehung sind Quelle und Nukleus von allem, was sie ausmacht und was man sonst an ihr bewundern kann. Der «Dialogus» ist tatsächlich als Gespräch zwischen Gott und Caterina verfasst, als Zwiegespräch der Liebe zwischen Gott und Mensch. Dabei werden verschiedene Facetten zentraler christlicher Glaubensgeheimisse entfaltet: «Wer Gott ist, und was ihm der Mensch wert ist; wie Christus Weg, Wahrheit und Leben ist; und was die Kirche, einschliesslich ihrer Sakramente und Ämter, bedeutet. Der ‹Dialogus› ist ein Buch über die Liebe Gottes. Dieser Liebe muss der Mensch antworten, soll er das Ziel seines Lebens nicht verfehlen», so fasst Marianne Schlosser, Professorin für Theologie der Spiritualität in Wien, den «Dialogus» zusammen. Caterina von Sienas mystische Schriften dürfen getrost mit den Werken der grossen Mystiker des Karmels wie Teresa von Ávila und Johannes vom Kreuz verglichen werden. So sehr der «Dialogus» zu begeistern vermag, so fremd bleibt uns diese mittelalterliche Mystikerin manchmal. Beispielsweise kommt uns Caterinas erbarmungsloser Umgang mit ihrem Körper heute nur wenig vorbildlich vor. Caterinas Askese und Selbstzucht ging bis zur Selbstschädigung, was einem modernen Menschen nur schwer positiv vermittelbar ist. Hier wird uns bewusst, dass Caterina von Siena eine Frau des 14. Jahrhunderts mit dem ganzen dazugehörigen kulturellen und religiösen Kontext war. Dafür kann man sie nicht verurteilen, vielmehr muss man sich die Frage stellen, was über die geschichtlich bedingte Unterschiedlichkeit hinweg inspirieren kann. So lässt sich über Caterinas Bezug zum Blut des Erlösers ihre zeitlos inspirierende Mystik hervorragend erschliessen.

Blut in Bibel und Kult
Blut ist bereits in der Bibel ein schillerndes Symbol. Besonders im Alten Testament steht es in einer engen Verbindung mit dem Tod, nicht selten dem gewaltsamen Tod. Ein Blutmensch (z. B. Ps 5,7) bezeichnet regelmässig einen Gewalttäter. Wenn im Neuen Testament vom Blut Jesu die Rede ist, dann wird damit vielfach der Tod Jesu ausgesagt. Das Blut meint in der Heiligen Schrift aber auch Leben. Es ist im alttestamentlichen Denken der Sitz des Lebens und das Leben gehört einzig Gott, weswegen den Juden der Blutgenuss verboten ist. Im antiken nahöstlichen Sprachgebrauch werden die Wörter Blut und Seele parallel verwendet und die Wendung «das Blut/Seele ausgiessen» bedeutet so viel wie «sein Leben hingeben». Im Blut liegen Leben und Tod ganz nahe beieinander. Angesichts dieses Bedeutungshintergrundes leuchtet die grosse kultische Bedeutung des Blutes ein.
Im antiken Judentum war das Blut zentral einerseits für die Entsühnung des Volkes während liturgischer Feste, andererseits als Zeichen des Bundes Gottes mit Israel (Blutritual auf dem Berg Sinai). Beide Bedeutungsebenen werden von den Evangelisten aufgenommen, wenn sie Jesu Blut in Zusammenhang mit Abendmahl und Kreuzigung als Sühne-, Pascha- und Blut des neuen Bundes darstellen (Mk 14,24 und Mt 26,28; Lk 22,20). Diese neutestamentliche Linie zieht sich durch bis zur Eucharistie mit der Wandlung von Brot und Wein zu Leib und Blut Christi. All dies bildet die Grundlage für die Blutmystik einer Caterina von Siena.

Blut und Barmherzigkeit Gottes in Caterinas Denken
Das Blut steht bei Caterina von Siena für die verschwenderische Liebe Gottes und die Vergebung der Sünden. In dieser Symbolik soll es von der menschlichen Seele regelmässig im Gebet betrachtet werden. Die im Blut ausgedrückte Liebe gilt dem Menschen, der sich angesichts dieser unverdienten, überwältigenden Liebe Gottes auf einmal ganz klein und unwürdig vorkommen muss. So fallen im Blut Christi Gottes- und Selbsterkenntnis in eins. Die Grösse Gottes und die Armseligkeit des Menschen scheinen in unversöhnlichem Gegensatz. Doch die Menschwerdung Gottes und seine blutige Hingabe in Jesus am Kreuz aus Liebe für den Menschen und um ihn zu erlösen überbrücken diesen scheinbaren Gegensatz. Gott liebt den Menschen bis hin zum Tod seines Sohnes am Kreuz zur Erlösung der Menschen. Diese Zuwendung Gottes erhöht den Menschen und macht ihn nur wenig geringer als Gott selbst (Ps 8,6). Diese Erkenntnis lässt Caterina von Gott als «Narr der Liebe» schwärmen, was durchaus in Anlehnung an die paulinische Torheit des Kreuzes (1 Kor 1,21 ff.) gesehen werden darf. Das Blut Jesu ist somit für Caterina das Realsymbol der Barmherzigkeit Gottes, die im Leben und Sterben des Fleisch und Blut gewordenen Gottes verkörpert ist. Mit dem Blut ist man so – nicht nur wegen des engen körperlichen Zusammenhangs – ganz nahe beim Herzen Jesu angelangt. Das Herz ist für Caterina Symbol für die innerste und intimste Sphäre des menschgewordenen Gottes, wo sein menschlicher und göttlicher Wille zusammenkommen. Es bildet den Endpunkt ihrer Mystik, wenn das über das Blut erkannte Herz Christi zum Herzen des Menschen wird.

Das Blut Christi im sakramentalen Glaubensleben – auch heute noch
Nicht zuletzt kommt dem Blut Jesu auch eine reinigende Funktion zu, denn in der Erlösungstat Christi und dem Herzenstausch wird der Mensch mit Gott versöhnt, d. h. von seinen Sünden befreit. Im Blut und Wasser, das aus der Seite des Gekreuzigten fliesst, erkennt Caterina den Zusammenhang zwischen der barmherzigen Zuwendung Gottes im Blut und dem erlösenden Handeln im Taufsakrament, das bekanntlich mit Wasser vollzogen wird. Die Taufe und die sakramentale Busse bedeuten eine Reinwaschung des Menschen im Blut Christi, also in der liebevollen Zuwendung Gottes. Aber auch in der Eucharistie findet sich das Blut Christi im gewandelten Wein wieder. In ihr verschenkt sich Gott dem Menschen und der Mensch ist gehalten, die im Blut realsymbolisch präsente Erlösung anzunehmen, um sie in sich fruchtbar werden zu lassen. In diesem Sinne bietet es sich auch heute an, bei der Wandlung des Weines in das Blut Christi sich der barmherzigen Zuwendung Gottes zu vergegenwärtigen und die letzten Worte Caterina von Sienas betend zu wiederholen: «Blut! Blut! – Vater, in deine Hände empfehle ich meinen Geist».


Max Ammann

MLaw utr. iur. & BTheol. Max Ammann studiert gegenwärtig Theologie mit Spezialisierung in Kirchengeschichte an der Universität Freiburg i. Ü. Als Jurist setzt er sich vor allem mit Fragen des Staats- und Religionsverfassungsrechts auseinander.


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