Symbolbild. (Bild: Nataliya Vaitkevich/Pexels)

Hintergrundbericht

Steigende Abtreibungszahlen: Bitte keine falschen Rezepte

Wie kann man auf die steigende Zahl von Abtreibungen reagieren? Verschiedene Nationalrätinnen schlagen eine nicht nur fragwürdige, sondern auch höchst problematische Massnahme vor.

Vergangene Woche stellte das «Bundesamt für Statistik» BFS die aktuellen Zahlen betreffend Abtreibungen vor. Diese hatten 2023 einen historischen Höchstwert erreicht.

Das Nachrichtenportal «20 Minuten» hörte sich in Bundesbern um. Für die SVP-Nationalrätinnen Céline Amaudruz und Martina Bircher steht fest, dass es sich um eine «besorgniserregende Entwicklung» handelt. Für Céline Amaudruz birgt die Zunahme die Gefahr, dass eine Abtreibung «zu einer Verhütungsmethode verkomme».

Nun müsste man annehmen, dass ernsthaft nach den Gründen gesucht wird, die für diese massive Zunahme der Abtreibungen verantwortlich sind, doch weit gefehlt: Die von «20 Minuten» befragten Politikerinnen waren sich einig, dass zur Senkung der Abtreibungszahlen der Zugang zur sogenannten «Pille danach» gelockert werden müsste.

Diese ist seit 2002 rezeptfrei in Apotheken erhältlich. Sie sind verpflichtet, vor der Abgabe ein Beratungsgespräch durchzuführen und ein Formular ausfüllen zu lassen. Die Kosten für die «Pille danach» (zwischen Fr. 45.– und Fr. 70.–) werden nicht von der obligatorischen Krankenkasse übernommen. Seit der Revision des Heilmittelgesetzes darf die «Pille danach» nicht beworben werden.

GLP-Fraktionschefin Corina Gredig bemängelt gegenüber «20 Minuten» die aktuelle Situation und schlägt als mögliche Lösung die Herabstufung der Produkte in eine tiefere Abgabekategorie vor. «Unser Körper gehört uns allein. Und Erwachsene sind selbst verantwortlich für ihre Sexualität. Vor allem aber ist es die Sache der Frau, eine Schwangerschaft abzubrechen.» Ein Zugang zum Medikament «ohne bürokratische oder moralisierende Hürden» sei deshalb wichtig. Auch die SVP-Nationalrätinnen Martina Bircher und Céline Amaudruz sind der Meinung, dass die Modalitäten der Abgabe der «Pille danach» überprüft werden sollten. SP-Nationalrätin Tamara Funiciello schlägt vor, den Fragebogen online oder in einer App ausfüllen zu können.

Nun fragt man/frau sich, wie durch einen erleichterten Zugang zur «Pille danach» Abtreibungen verhindert werden sollen. Die Tatsache, dass die «Pille danach» bei einer Einnahme nach erfolgter Befruchtung selbst eine Abtreibung darstellt, lassen wir einmal beiseite.

Die «Pille danach» muss je nach Präparat spätestens 72 Stunden oder 120 Stunden nach dem Geschlechtsverkehr eingenommen werden. Wenn das Kondom platzt oder die Frau die Antibabypille vergessen hat, kann eine Frau auf die Idee kommen, die «Pille danach» zu nehmen. Doch in den allermeisten Fällen denken Frauen nach dem Geschlechtsverkehr nicht darüber nach, da sie sich aufgrund von Verhütung sicher fühlen oder sich prinzipiell keine Gedanken darüber machen. Die Zahl jener, die nicht verhüten, nimmt zu. Wenn die Frauen feststellen, dass sie schwanger sind, hilft ihnen die «Pille danach» auch nichts mehr.

Der Journalist Kari Kälin von «CH-Media» suchte nach Gründen für die massive Zunahme der Abtreibungen und fragte bei Sibil Tschudin, emeritierter Professorin und bis Ende April leitende Ärztin der Abteilung für Gynäkologische Sozialmedizin und Psychosomatik am Universitätsspital Basel nach. Sie nennt als naheliegende Erklärung für den Anstieg der Abtreibungen, dass immer weniger Frauen die Antibabypille nehmen.

Tatsächlich hält die Statistik des «Bundesamtes für Statistik» BFS fest, dass sich im Jahr 2022 nur 19,5 Prozent der Paare zwischen 25 und 34 Jahren für die Pille als Verhütungsmethode entschieden haben, während es 2017 noch 32 Prozent waren. Da mehr als die Hälfte des Anstiegs bei Abtreibungen auf Frauen im Alter von 25 bis 34 Jahren entfällt, scheint die diese «Pillentheorie» auf den ersten Blick plausibel. Doch Frauen zwischen 25 und 34 haben oft schon die Familienplanung im Blick. Eine ungeplante Schwangerschaft muss entsprechend nicht automatisch eine ungewollte Schwangerschaft sein.

In seiner Publikation «Schwangerschaften und Geburten unter schwierigen Bedingungen» aus dem Jahr 2022 führt das BFS Gründe auf, die zu einer Abtreibung vor der 12. Schwangerschaftswoche geführt hatten. Es stützt sich dabei auf die entsprechenden Erhebungen in den Kantonen AG, BE, BL, BS, FR, JU, OW, SZ, TG, TI, UR und VD.

So werden seit 2007 psychosoziale Gründe (97 %) am häufigsten als Grund für eine Abtreibung angeben. Psychiatrische Gründe (1,5 %), somatische (körperliche oder organische) Gründe der Frau (1,2 %) oder somatische Gründe beim Fötus (0,2 %) werden selten genannt.

Doch was versteht man unter psychosozialen Gründen? Die im Jahr 2020 meist genannten Gründe waren:

  • die Frau fühlt sich nicht in der Lage, ein Kind zu erziehen (14 %);
  • die Frau oder ihr Partner wünschen sich gegenwärtig kein Kind (13 %);
  • aktuelle Ausbildung (12 %);
  • Unvereinbarkeit mit der beruflichen Situation (11 %);
  • Probleme in der Partnerschaft (8 %);
  • die Frau wünscht kein Kind ohne festen Partner (7 %);
  • soziale oder familiäre Unterstützung fehlt (7 %);
  • finanzielle Gründe (7 %).

Abtreibungsbefürworter betonen stets, dass keine Frau ohne schwerwiegende Gründe abtreiben würde. Sieht man sich die genannten Gründe an, entsteht – rein sachlich gesehen – der Eindruck, dass manche der Probleme mit etwas Hilfe lösbar gewesen wären. So gibt es z. B. verschiedenste Institutionen, die werdende Mütter finanziell unterstützen.

Andere Probleme treten auch in anderen Zusammenhängen auf: Eltern fühlen sich zuweilen mit der Erziehung ihres Kindes überfordert, wenn dieses z. B. in der Trotzphase ist oder als Jugendlicher die Grenzen bis zum Äussersten auslotet. Probleme in der Partnerschaft kann es immer geben und mancher Familienvater oder manche Familienmutter musste ein tolles Jobangebot oder eine Karrieremöglichkeit ablehnen, weil diese mit der Familie nicht vereinbar gewesen wäre. Man stelle sich vor, diese Eltern würden in diesen Situationen ihr Kind auf diese Weise «entsorgen»! Im Juni dieses Jahres wurde eine 32-jährige Mutter zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Mordes an ihrer Tochter verurteilt. Hätte sie ihr Kind während der Schwangerschaft abgetrieben, wäre sie eine moderne Frau gewesen, die ihr Selbstbestimmungsrecht in Anspruch nimmt – jetzt gilt sie als Mörderin.

Damit sind wir beim eigentlichen Problem der Abtreibungen angelangt: Das ungeborene Kind wird nicht als Mensch betrachtet.

Das zeigt sich anschaulich auf der Webseite von «Sexuelle Gesundheit Schweiz». Da liest man im Zusammenhang mit einer Abtreibung Sätze wie «Das löst Blutungen aus und die Schwangerschaft wird ausgestossen» oder «Der Inhalt der Gebärmutterhöhle kann so abgesaugt werden». Es braucht einen Gesinnungswandel weg von der «Kultur des Todes» hin zur «Kultur des Lebens». Die ganze Gesellschaft wie auch der Staat sind in gleicher Weise gefordert. Es kann z. B. nicht sein, dass der Geltungsbereich von Art. 122 des Strafgesetzbuches (Tatbestand der Körperverletzung) gemäss einem massgebenden Strafrechtskommentar) wie folgt umschrieben wird: «Strafrechtlichen Schutz geniesst ausschliesslich der Mensch, nicht aber etwa das ungeborene Kind.»

Der erste und wichtigste Schritt, die Abtreibungszahlen zu senken, besteht darin, den ungeborenen Menschen wieder als Menschen zu bezeichnen und ernst zu nehmen. Wenn dies geschieht, werden viele Frauen von einer Abtreibung absehen. Wichtig ist, Frauen in Notsituationen nicht allein zu lassen, sondern ihnen bei den konkreten Problemen zu helfen respektive in ihren Ängsten beizustehen.


Rosmarie Schärer
swiss-cath.ch

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Rosmarie Schärer studierte Theologie und Latein in Freiburg i. Ü. Nach mehreren Jahren in der Pastoral absolvierte sie eine Ausbildung zur Journalistin und arbeitete für die Schweizerische Kirchenzeitung SKZ.


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    Hansjörg 12.07.2024 um 13:51
    Die Anzahl Abtreibungen in der Schweiz ist in der heutigen Zeit, mit jeglichen verfügbaren Verhütungsmittel für Mann und Frau, zu hoch. Der letztliche Entscheid über eine Abtreibung liegt aber ganz klar bei der schwangeren Frau.
    Also müssen diese Frauen so unterstützt werden, dass sie unter Einbezug aller Aspekte und ohne Druck von aussen, für oder gegen eine Abtreibung entscheiden können.
    • user
      Markus Burri 19.07.2024 um 11:40
      Der letztliche Entscheid über eine Abtreibung sollte im Strafrecht liegen. Abtreibung ist Mord und sollte dementsprechend geahndet werden (wobei der ausführende Arzt der Mörder ist), einzig die Gefahr des Todes für die Mutter darf als Ausnahme gelten, da dort 1 Leben gegen 2 Leben steht.