Taylor Swift. (Bild: Paolo V/Flickr, CC BY 2.0)

Kommentar

Taylor Swift Superstar

Am 9. und 10. Juli spielte der Superstar Taylor Swift zweimal im ausverkauften Letzigrund – es waren die kleinsten Konzerte ihrer mehrjährigen Tournee. Ihre Fans verehren sie mit quasi-religiösem Eifer, aber das muss man nicht unbedingt negativ sehen.

Taylor Swift ist ein soziologisches Ausnahmephänomen. Es gab Berühmtheiten und Personenkult vor ihr und es wird ihn auch nach ihr geben. Im Moment ist sie aber das Nonplusultra: Sie dominiert die Musikindustrie, bildet eine eigene ökonomische Grösse von volkswirtschaftlicher Relevanz und hat angedeutet, dass sie zumindest potenziell politische Macht ausüben kann.

Wieso ist die 1989 geborene Singer-Songwriterin Taylor Alison Swift aus den USA so erfolgreich? Über die Ursachen und Gründe wird breit spekuliert – teilweise sogar mit skurrilen Verschwörungstheorien –, aber das Fundament ihrer Relevanz ist zweifellos ihre enorm loyale Fangemeinde: die «Swifties». Meisterhaft versteht sie die Interaktion mit ihrer Fangemeinde. Sie lässt ihnen über die sozialen Medien und in ihren Liedtexten geheime Botschaften und kleine Rätsel zukommen, sogenannte «Eastereggs», und suggeriert mit ihrem ganzen Auftreten erfolgreich Nähe und Verständnis. Die Swifties danken es mit Loyalität, die so weit reicht, dass sie es ablehnen, das geleakte Album ihres Idols anzuhören, bevor es nicht offiziell erschienen ist, nur um ihre Tay-Tay nicht zu enttäuschen. Es ist kein Wunder, dass nicht wenige Medien die Swifties mehr oder weniger passend als religiöse Bewegung beschreiben.

Das Konzert einer Marathonläuferin
Über die absurden Preise für die Tickets der Konzerte von Taylor Swift wurde schon so einiges geschrieben. Man kann ihr aber nicht vorwerfen, dass sie sich nicht Mühe geben würde, im Gegenzug etwas zu geben. Swift spielt während circa dreieinhalb Stunden ganze 44 Lieder, die alle Phasen ihres achtzehnjährigen musikalischen Wirkens abdecken. Dabei wird nicht einfach ein Lied nach dem anderen heruntergespielt: Das ganze Konzert ist eine einzige, perfekt durchgetaktete Choreografie mit wechselnden Kostümen, Bühnenbildern, Spezialeffekten und Tanzeinlagen, die manchmal an kleine Musicals erinnern. Taylor singt und tanzt praktisch pausenlos durch. Sie ist jeweils höchstens zwei bis drei Minuten nicht auf der Bühne zu sehen, wenn sie gerade unterirdisch zurück zur Hauptbühne gefahren wird und gleichzeitig vermutlich das Kostüm wechselt. Es ist zweifellos schon rein sportlich eine beachtenswerte Leistung, mehrfach pro Woche solche Shows zu performen. Trotzdem gelingt es Swift stets mit einem Zwinkern dort oder einem Lächeln hier aus der Performer-Rolle auszubrechen und den Eindruck zu erwecken, man schaue der eigenen älteren Schwester auf der Bühne zu, deren Persönlichkeit für die mit ihr Vertrauten immer wieder kurz aufblitzt. 113 von bisher geplanten 153 solcher Konzerte hat sie bereits bestritten. Aber noch immer gibt es Staatsoberhäupter, die gerne zu sich locken würden, weswegen es nicht bei den 153 Auftritten bleiben muss. Die Fans danken ihr auf jeden Fall jeden Marathon tausendfach – finanziell und emotional.

Taylor Swift im Leben der Swifties
Über Taylor Swifts Religiosität wissen wir nur wenig. Sie war in einem katholischen Kindergarten, wuchs im sogenannten «bible belt» auf und bezeichnet sich selbst als Christin. Für ihre Fans ist Taylor wohl regelmässig wichtiger als Jesus Christus. Aber es gibt Parallelen: Viele Fans bezeichnen Taylor als beste Freundin, die ihnen in jeder Lebensphase beistehen würde. Swift sei teilweise gar Teil des eigenen Charakters geworden. Swift ist eine ständige Begleiterin im Leben vieler Menschen, die ihnen Mut zuspricht und ihnen Worte für vielfältige Lebenssituationen leiht. Die Fans studieren die Liedtexte, lernen sie auswendig und rezitieren sie seitenweise. Taylor schreibt ihre Texte bekanntlich selbst und verfügt tatsächlich über ein poetisches Talent – ob das mit ihrer Verwandtschaft mit der amerikanischen Dichterin aus dem 19. Jahrhundert, Emily Dickinson, zusammenhängt, muss Spekulation bleiben. Auf jeden Fall finden sich die Fans in den Texten von Taylor selbst wieder und können sie auf ihr eigenes Leben anwenden, um Trost und Hoffnung zu schöpfen. Swift schreibt ihnen sozusagen aus der Seele und ins Leben.

Swifties und Gemeinschaft
Doch die Taylor-Fans verbinden sich nicht nur innerlich mit ihrem Idol, sondern auch untereinander. Das äussere Erkennungszeichen sind die selbst gemachten Freundschaftsbänder mit Swift-Zitaten sowie nach Möglichkeit Kleider, die im Stil dieses oder jenes Albums ausgewählt sind. Die Swifties treffen sich als Gesinnungsgenossen. Bei Konzerten ist die Stimmung ruhig und entspannt. Es wird nicht gerempelt, man ist höflich und macht sich Platz. Ohne Probleme kann man den guten Platz in der Menge verlassen, ein (meistens nicht alkoholisches) Getränk holen und gelangt später ohne Schwierigkeiten durch die Menge wieder zurück. Die Community ist organisiert, trifft sich regelmässig und kann durchaus als Einheit agieren. So haben sie einen aus Versehen publizierten «Track» von Taylor, der allerdings nur aus acht Sekunden weissem Rauschen besteht, in Kanada auf Platz eins der iTunes-Charts gestreamt. Auf Geheiss der Musikerin schreiben sie sich aber auch zu Zehntausenden in die Wahllisten ein. Taylor Swift ist keine Göttin und ihre Fans wissen das auch. Aber die Verehrung kann teilweise religiös wirken.

Swifties und die Religion
Man kann diesen exorbitanten Kult um Taylor Swift natürlich als religiöses Fehlgehen deuten. Die Leute hätten den Bezug zur Religion verloren und kompensieren den Mangel mit übertriebenem Star-Kult. Taylor Swift sei im Grunde ein moderner Götze. Diese Sichtweise mag gewisse berechtigte Beobachtungen in sich tragen. Tatsächlich gibt es bereits erwähnte Parallelen zwischen einem christlich-religiösen Glaubensvollzug und dem Taylor-Fankult. Die Fans finden Begleitung und Trost in allen Lebenslagen, wenn sie an Taylor denken und pflegen diese innere Beziehung durch das Studium der für sie quasi-biblischen poetischen Texte der Musikerin sowie den gemeinsamen Besuch von Konzerten und Taylor-Events. Trotzdem ist den Fans selbstverständlich bewusst, dass diese Beziehung einseitig ist und Dr. Swift (sie hat ein Ehrendoktorat der New York University) nicht einmal um die Existenz des einzelnen Fans weiss. Es bleibt die Beziehung zwischen Fan und Idol, ohne den transzendental-religiösen Charakter einer Gottesbeziehung. Die Parallelen können nur bei sehr oberflächlicher Betrachtung ernsthaft in Erwägung gezogen werden. Gott ist mehr als ein inspirierender Künstler und Jesus Christus kennt jeden Menschen besser als dieser sich selbst.

Fruchtbare Integration statt Kulturpessimismus?
Vielleicht darf man eine positivere Sicht auf das «Taylorverse» wagen und den leider in manchen katholischen Kreisen so verbreiteten Kulturpessimismus einen Moment hinter sich lassen. Es gibt hier eine junge Generation, die durchaus empfänglich für religiöse Vollzüge ist. Sie sind fähig, Texte in ihr Leben sprechen zu lassen – eine wichtige Fähigkeit für das Gebet mit der Heiligen Schrift; eine innere Beziehung zu pflegen, die in der Regel auf der geistigen Ebene verbleibt – die Gottesbeziehung ist vielfach nicht anders; und in einer von Anstand und Zuneigung geprägten «Community» der gemeinsamen Leidenschaft nachzugehen, sich gegenseitig zu stärken und anzutreiben. Es geht dabei nicht darum, die Leute von ihrer Begeisterung für Taylor Swift wegzubringen, Swift-Lieder durch Gregorianik und Fan-Merch durch fromme Devotionalien zu ersetzen. Man kann Swiftie und Christ (zumeist Christin) zugleich sein. Poetische Lieder und Bibelverse können ein Leben ohne Probleme gemeinsam bereichern, so wie es Kunst und Glaube lange im Grunde stets getan haben. Liedzeilen wie: «You'd see that today holds something special / Something holy, not superficial / So here's to the birthday boy who saved our lives / It's something we all try to ignore /And put a wreath up on your door / So here's something you should know that is for sure /Christmas must be something more» oder «Desperate people find faith, so now I pray to Jesus too» könnten hier einen Anfang bilden.[1]

 


[1] «Du würdest sehen, dass der heutige Tag etwas Besonderes, etwas Heiliges, nicht etwas Oberflächliches ist. Auf das Geburtstagskind, das unser Leben gerettet hat. Es ist etwas, das wir alle zu ignorieren versuchen. Und wir hängen einen Kranz an deine Tür. Also hier ist etwas, das du wissen solltest, das sicher ist. Weihnachten muss etwas Besonderes sein.» / «Verzweifelte Menschen finden zum Glauben, also bete ich jetzt auch zu Jesus.»


Max Ammann

MLaw utr. iur. & BTheol. Max Ammann studiert gegenwärtig Theologie mit Spezialisierung in Kirchengeschichte an der Universität Freiburg i. Ü. Als Jurist setzt er sich vor allem mit Fragen des Staats- und Religionsverfassungsrechts auseinander.


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    Stefan Fleischer 13.07.2024 um 16:23
    Das ist keine religiöse Bewegung. Das ist eine Ersatzreligion. Für mich gehört das in den Bereich des Moralistisch-Therapeutischen Deismus. Es ist die Umsetzung des 4. Glaubenssatzes jener Pseudoreligion: «Für Gott ist es nicht wichtig, ob wir uns um ihn kümmern oder nicht. Wenn wir es wollen, so hilft er uns. Ansonsten können wir tun und lassen, was sich gut anfühlt.» Es ist ein Aufgehen in der Masse jener, «welche Gott suchen aus lauter Angst, ihn zu finden», wie ein Aphoristiker einst schrieb. Der Mensch hat bemerkt, dass die Gottlosigkeit (die Losgelöstheit von einem personalen Gott) keine Lebensgrundlage ist. Deshalb sucht er sich hier auf Erden irgend etwas Göttliches, das aber keinerlei Ansprüche an ihn stellen darf, welche ihm nicht genehm sind. Oder wie der gleiche Aphoristiker formulierte: «Hilfe! Wir haben Gott verloren. Wir wollten ihn hier auf Erden bei uns festhalten, statt ihm in die ewige Heimat zu folgen.» Es ist Menschzentriertheit in Reinkultur. Und von dort über den Egozentrismus zum schrankenlosen Egoismus ist der Weg nicht mehr weit. Wenn sich dieser dann noch moralistisch tarnen lässt, um so besser.
    • user
      Michael Dahinden 14.07.2024 um 21:01
      Sehr geehrter Herr Fleischer,

      das ist gut gesagt. Vielleicht ist auch der Hinweis von Nutzen, dass wir diese Krankheit alle haben. Beten für den eigenen Bauch statt für Gott, wer kennt die Versuchung nicht.