Daniel Ric. (Bild: zVg)

Interview

«Das Leben ist kein Sprint, son­dern ein Marathon»

In unse­rer Som­mer­se­rie «Warum ich gern katho­lisch bin» äus­sert sich Daniel Ric zu sei­nem Selbst­ver­ständ­nis als Katho­lik. Er legt dar, wie sein vor­der­grün­di­ges Schei­tern als Prä­si­dent der Kir­chen­pflege Gebenstorf-​Turgi sich im Nach­hin­ein als segens­reich erwie­sen hat.

Der Synodenagenda verpflichtete Kreise würden Sie wohl als «Hardcore-Katholiken» bezeichnen. Wie würden Sie sich selbst bezeichnen?
Ich würde mich weder als konservativ noch als progressiv bezeichnen, da ich diese Etikettierungen ablehne. Ich bin zwar in den klassischen Fragen – Frauenordination, Lebensschutz, Sexualmoral und Zölibat – ein Befürworter der lehramtlichen Position, dies jedoch nicht, weil ich daran glaube, dass man in der Kirche prinzipiell nichts ändern dürfe, sondern weil ich aus philosophischen und theologischen Gründen tief überzeugt bin, dass die Kirche hier die richtige Haltung vertritt. In anderen Fragen bin ich hingegen sehr offen. Ich würde mich nicht daran stören, wenn ein Priester Hip-Hop oder Techno als Musik in der Liturgie verwenden würde, ich empfinde die Handkommunion nicht als unwürdig und ich bin ein Befürworter der Ökumene und des interreligiösen Dialogs. Für mich ist es zentral, dass jeder Christ und die Kirche als Ganze sich Gedanken darüber machen, was in den letzten 2000 Jahren Christentum menschengemacht ist und was den Willen Gottes darstellt. Persönlich glaube ich, dass es sehr gute Gründe gibt zu glauben, dass es dem Willen Gottes entspricht, nur Männer zu Priestern zu weihen, die Ehelosigkeit der Kleriker zu fordern, die Würde des menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zum Tod zu schützen und zu betonen, dass es eine Ehe nur zwischen Mann und Frau geben kann. Aber noch einmal zur Grundfrage, ob ich ein Hardcore-Katholik bin: Wie christlich jemand ist, misst sich meines Erachtens nur daran, wie stark seine Handlungen von der Nächstenliebe geprägt sind, speziell von der Nächstenliebe zu den schwächsten Menschen in der Gesellschaft. Ein Hardcore-Katholik ist jemand, der ständig diesem Ideal folgt – ich bin leider weit davon entfernt.

Sie treten als sehr engagierter Katholik mit pointiert-dezidierten Stellungnahmen in der Öffentlichkeit auf, unter anderem auch mit regelmässigen Beiträgen auf «swiss-cath.ch». Was motiviert Sie dazu, was treibt Sie an?
Ich hoffe, der Heilige Geist treibt mich dazu an! Konkret wuchs meine Motivation, mich für die Kirche zu engagieren, dadurch, dass ich erlebt habe, wie die Kirche vor allem von innen zerstört wird. Vor 15 Jahren habe ich einen arbeitslosen Priester kennengelernt, der später ein sehr guter Freund von mir wurde. Die Tatsache, dass ein Priester in der Schweiz arbeitslos ist, ohne sich irgendetwas Kirchenrechtliches oder Strafrechtliches zuschulden kommen zu lassen, war für mich ein unvorstellbarer Skandal. Es folgten weitere Priester, die ich im Laufe der letzten 15 Jahre getroffen habe, welche das gleiche Schicksal teilen. In den Bistümern Basel, Chur und St. Gallen werden Priester daran gehindert, ihrer Berufung nachzugehen, indem sie entweder keine Stelle bekommen oder in ihren Pfarreien das fünfte Rad am Wagen sind. In einer Zeit, in der die Menschen eine grosse Sehnsucht nach Gott haben, ist dieser Zustand inakzeptabel. Genauso inakzeptabel ist es, dass einige Exponenten der Schweizer Kirche die Frohe Botschaft, die Jesus uns geschenkt hat, durch ihre eigene ersetzen. Mit meinen Texten möchte ich versuchen, auf differenzierte Weise zu hinterfragen, inwiefern der jetzige Zustand der Schweizer Kirche verändert werden kann zugunsten einer authentischen Kirche. Dabei argumentiere ich nie nur schwarz-weiss, sondern versuche verschiedene Aspekte (Finanzen, Organisation, Recht) zu beleuchten.

Sie waren als Präsident der Kirchenpflege Gebenstorf-Turgi tätig und haben während dieser Zeit zusammen mit Pater Adam Serafin wesentlich zur Erneuerung des Pfarreilebens beigetragen. Insbesondere Gläubige mit Migrationshintergrund haben dieses Engagement geschätzt. Dennoch ist dieser vielversprechende Aufbruch schlussendlich gescheitert. Woran lag's?
Es lag daran, dass es mir nicht gelungen ist, die alteingesessenen Kirchgemeindemitglieder von der Vision einer Kirche zu überzeugen, die ihre Strukturen zugunsten einer Neuevangelisierung nutzt. Ich hatte sehr gute Kirchenpflegekollegen, mit Pfarrer Celestine Thazhuppil und später Pater Adam hervorragende Priester. Mir unterliefen zu viele Fehler gegenüber jenen, die am Bild einer aus meiner Sicht überlebten Volkskirche festhalten wollten. Wenn ich nun jedoch die beiden Pfarreien Gebenstorf und Turgi betrachte, stelle ich glücklich fest, dass mein vordergründiges Scheitern doch sehr segensreich war. Ich habe 15 Jahre lang für den Erhalt der Eucharistie gekämpft, die im Kanton Aargau und im ganzen Bistum Basel immer mehr eine Rarität darstellt und durch Wortgottesdienste ersetzt wird. Da die Bistumsleitung zeigen musste, dass sie nicht so priesterfeindlich ist, wie von mir und anderen Gläubigen unserer Kirchgemeinde immer beanstandet wurde, musste sie gleich zwei Priester senden, die nun in der Kirchgemeinde wirken. Während die grossen Städte Baden und Aarau sehr wenige Heilige Messen feiern, ist Gebenstorf und Turgi zu einem Eucharistischen Zentrum geworden, in dem in den Pfarrkirchen ausschliesslich die Eucharistie gefeiert wird und sich Laien zusammengeschlossen haben, um neben der offiziellen landeskirchlichen Struktur die Eucharistie ins Zentrum ihres Glaubenslebens zu stellen. Gerade die Tatsache, dass meine Geschichte als Kirchenpflegepräsident keine Heldengeschichte ist, Gott jedoch trotzdem sehr viel Positives dadurch bewirkt hat, zeigt die Grösse Gottes und dass kein Mensch Angst haben sollte, sich für die Kirche zu engagieren.

Wie beurteilen Sie generell die Zukunftsfähigkeit des hierzulande herrschenden dualen Systems?
In der Theorie bin ich ein grosser Befürworter des dualen Systems, da ich glaube, Laien sollten in der Kirche die Verantwortung für die Finanzen und viele andere organisatorische Fragen tragen. In der Realität ist es jedoch leider so, dass viele der Menschen, die sich im Rahmen des dualen Systems engagieren, selbst gar nicht wirklich gläubig sind. Dadurch dient das jetzige System der Kirche nicht, sondern schadet ihr. Die Zukunft des dualen Systems ist vorgezeichnet. Es wird untergehen, da die Steuereinnahmen in den kommenden Jahren stark rückläufig sein werden und die Kantonalkirchen nur Schönwetter-Strukturen haben, die in der jetzigen Krise überfordert sind, unpopuläre Sparmassnahmen zu treffen. Immer weniger Menschen werden sich bereit erklären, ehrenamtlich zu wirken. Die Folge werden Kirchgemeindefusionen sein und schlussendlich der Verlust der speziellen Stellung, welche die meisten Kantone der Katholischen, Christkatholischen und Reformierten Kirche geben. Wichtig ist es, diesen Niedergang nicht ungeordnet vonstattengehen zu lassen, sondern dafür zu sorgen, dass nach dem Ende des dualen Systems genügend Ressourcen für einen Neuanfang vorhanden sind. Wie dieser Neuanfang aussehen wird, muss Gegenstand von Diskussionen sein, an denen alle Katholiken guten Willens, dies unabhängig von ihrer kirchenpolitischen Einstellung, teilnehmen sollten.

Die bevorstehende Fusion zwischen dem Aargauer Pfarrblatt «Horizonte» und dem Pfarrblatt beider Basel «Kirche heute» wird zur Zeit euphorisch als «Lichtblick für die kirchliche Presse» angepriesen. Sie haben sich zu diesem Vorhaben kritisch geäussert. Warum?
Im kirchlichen Journalismus im Bistum Basel ist die gleiche Entwicklung wie in der Seelsorge zu sehen. Der Kernauftrag wird ausgehöhlt und der Betrieb wird nur noch pro forma aufrechterhalten. Mit Andreas C. Müller und Christian Breitschmid hatte «Horizonte» zwei sehr gute Journalisten, die sich trauten, kritisch über die Bistumsleitung zu berichten. Die jetzige Redaktion besteht auch aus zwei guten Journalistinnen, wobei der Umgang mit den früheren Chefredaktoren ein klares Signal ist, wie mit unbequemen Mitarbeitern bei «Horizonte» verfahren wird. Die Fusion wird die Machtstellung der Kantonalkirchen und des Bistums gegenüber der kirchlichen Berichterstattung nur noch verstärken. Niemand von den Journalisten wird sich trauen, öffentlich darüber nachzudenken, ob der Niedergang der hiesigen Kirche nicht vom bösen Rom, sondern vom Bischofssitz in Solothurn und den Büros der Kantonalkirchen verschuldet ist. Solange noch ein paar Franken Steuergeld vorhanden sind, wird man weiterhin Reportagen schreiben, die dem Narrativ einer idyllischen und fortschrittlichen Volkskirche dienen, jedoch verschweigen, dass es einen Neuanfang und eine Neuevangelisierung braucht. 

Ihr unermüdlicher Einsatz für die Kirche ist, so mein Eindruck, trotz aller Widrigkeiten ungebrochen. Was gibt Ihnen die Kraft und Zuversicht, Ihr Engagement sozusagen nach dem Pauluswort «Hoffnung wider alle Hoffnung» unbeirrt weiterzuführen?
Die Hoffnung ist neben dem Glauben und der Liebe die wichtigste Tugend eines Christen. Weshalb sollte ich keine Hoffnung haben? Gott ist ein Gott des Lebens und ich glaube fest daran, dass die gesamte Schöpfung und die Pläne, die Gott mit jedem Einzelnen hat, gut sind. Viele Gläubige, die sich engagieren, sind schnell entmutigt, da sie nicht sofort sichtbare Resultate sehen. Bei den Lehrern ist es häufig ähnlich. Mit viel Enthusiasmus starten sie im Lehrerberuf und sind dann enttäuscht, wenn die Schüler nicht die Lernfortschritte erzielen, die gewünscht sind. Das Leben ist aber kein Sprint, sondern ein Marathon, bei dem man in langfristigen Kategorien denken muss. Die kleinen Mühen im Leben, die gute Tat oder das aufmunternde Wort werden vielleicht nicht heute oder morgen, aber dafür in einigen Jahren die erhofften Früchte tragen. Es braucht im Umgang mit Menschen Beharrlichkeit und Geduld, da dies Tugenden einer wahren Nächstenliebe sind. Daher sehe ich keinen Grund, die Hoffnung zu verlieren. Wichtig ist, alles der Barmherzigkeit Gottes anzuvertrauen und nicht an Gottes Liebe zur Welt und allen Menschen zu zweifeln. 

 

Daniel Ric, lic.oec. (Volkswirtschaft, Universität Zürich) arbeitet seit 14 Jahren als Lehrer, zurzeit an einer Oberstufe im Kanton Aargau. Seine Hobbies sind Basketball, Lesen und das Theater (seit 12 Jahren ehrenamtliches Engagement im Kurtheater Baden). Daniel Ric ist ledig und wohnhaft in Turgi.


Niklaus Herzog
swiss-cath.ch

E-Mail

Lic. iur. et theol. Niklaus Herzog studierte Theologie und Jurisprudenz in Freiburg i. Ü., Münster und Rom.


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Bemerkungen :

  • user
    Dimitri Snegin 14.07.2024 um 06:45
    Ich bewundere und danke meinem Freund, Daniel Ric, für diese Analyse. Ja so ist es, das Leben ist ein Marathon.
  • user
    P. Ludwig Ziegerer 11.07.2024 um 14:56
    Vielen Dank! Daniel Ric ist einer der profiliertesten Gastautoren auf Swiss-cath
    Immer gut theologisch fundiert und aus einer tiefen Spiritualität hat er für die Kirche in der Schweiz Wesentliches zu sagen. Danke für diesen klaren Blick, wo die Reise hingeht. Ein Mann der Kirche, der uns Mut macht.
    • user
      Willy Zweifel 12.07.2024 um 13:27
      Ich kann diesem Kommentar nur beipflichten sowie die Demut bewundern, mit der der Interviewte Fehler eingesteht und nicht seine Gegner schlecht macht.