Mike Qerkini auf einer Lourdeswallfahrt im Jahr 2023. (Bild: Monika Abellas)

Interview

Katho­li­sche Som­mer­brise: Was die Kir­che erwar­tet, ist bereits in ihr

In unse­rer Som­mer­se­rie «Warum ich gerne katho­lisch bin» spricht der Pries­ter und Iko­no­graph Mike Qer­kini dar­über, wie er im katho­li­schen Glau­ben auf­ge­wach­sen ist. Und über das, was sein Glaube mit den Iko­nen zu tun hat und warum er gerne römisch-​katholisch ist und bleibt.

Vikar Mike, wie haben Sie den Weg zum katholischen Glauben gefunden?
Zehn Tage nach meiner Geburt taufte mich der Dorfpfarrer inmitten der Unruhen meiner Heimat Kosovo. Während die Kosovaren um ihr Leben bangten, schenkte mir Einer ein unzerstörbares Leben, und während mein Land terrorisiert und versklavt wurde, schenkte mir Einer eine grenzenlose Freiheit und eine unkündbare Kindschaft. Ich denke oft an meine Taufe zurück, an die schwierigen Umstände, auch wenn ich mich nicht bewusst daran erinnere. Manchmal wünsche ich mir, dass ich vom Tag Null an getauft gewesen wäre!

Irgendwann wurde Ihnen wahrscheinlich der katholische Glaube bewusst …
Meine ersten Erinnerungen an meinen Glauben sind tatsächlich mit Ikonen und Statuen verbunden, etwas, was mich bis heute begleitet. Ich war da vielleicht so vier oder fünf Jahre alt. Konkret geht es um Bilder und Statuen von Jesus, Maria und dem heiligen Josef. Der heilige Josef war in meiner Familie präsent, da wir aus einer Josefspfarrei stammen. Das Gebet vor Ikonen und Statuen und das kirchliche Leben prägen. Später hatte ich Religionsunterricht und zu Hause wurde offen über den Glauben geredet. Ich würde sagen, wir waren «normal» katholisch. Meine Eltern waren nicht streng. Nicht alle meine Geschwister verspürten allerdings das Interesse am Katholischsein gleich stark. Vielleicht wollte ich manchmal zu sehr über Jesus und Maria reden?

Das klingt ungewöhnlich.
Absolut nicht. Wenn man dem Wirken des Heiligen Geistes Raum gibt, dann wirkt er. Ich glaube, meine Eltern haben das nicht bewusst gemacht, aber sie haben dem katholischen Glauben im Alltag Raum gegeben. Der inwendige Glaube war aber sicher die Initiative des Heiligen Geistes. So sind mir die Begegnungen mit Jesus bei der Erstbeichte, bei der Erstkommunion und Firmung lebendig im Gedächtnis und im Herz geblieben. Ich habe gerne und mit Freude gebetet, ging auch gerne zur Messe, selbst wenn der Pfarrer nicht immer spannend predigte. Den Rosenkranz habe ich schon früh kennengelernt. Hie und da besuchte ich die Kirchen, um die Stille zu geniessen und Jesus im Tabernakel zu besuchen oder ich machte kleinere und grössere Wallfahrten. Warum soll es ungewöhnlich sein, dass ein Kind selbstständig seine Liebe zu Jesus pflegen möchte? Bei mir war das normal und ich habe Freude am Katholischsein.

Teilen Sie mit uns ein Erlebnis im Glauben, das Sie besonders berührt hat?
Die Gebetserfahrung ist so ein Erlebnis. Als ich einmal in einem Anliegen gebetet hatte und nichts passierte, da wurde ich dann doch «sauer» auf Jesus. Ich weiss nicht einmal mehr, in welchem Anliegen ich gebetet habe. Jedenfalls sagte ich nach der Novene zu Jesus: «So, jetzt ist fertig. Wenn Du mir nicht helfen willst, dann war’s das mit uns.» Ich drohte, die Freundschaft aufzukünden. Nach zehn Sekunden bat ich ihn um Verzeihung. Mir war ziemlich schnell bewusst geworden, dass ich gar nicht ohne Christus leben kann.
Eine andere Erfahrung war dann auch die Gebetserhörung in den unmöglichsten Situationen. Regelrechte Wunder, die absolut nicht erklärbar und nachvollziehbar sind. Da wurde mir bewusst, welch starke Wirkkraft das Gebet haben kann und wie sehr nahe Christus mir ist.
Ich denke, dass ich durch solche Erfahrungen in meiner Christusbeziehung schrittweise gewachsen bin. Was damals der Grundstein meines Glaubens war – die Taufgnade – wurde im Laufe meines Lebens entfaltet und führte mich immer mehr zur Erkenntnis Jesu Christi. Der katholische Glaube ist schlicht und einfach lebendig und frisch! Er tut gut.

Sie erwähnten die Ikonen. Warum wollen Sie nicht orthodox werden, um dort die Ikonenspiritualität besser leben zu können?
Die Römisch-katholische Kirche hat die gleichen Grundlagen in der Ikonographie wie die orthodoxe Kirche. Wer schon einmal die römischen Kirchen besucht hat, der weiss, dass auch Rom eine Fülle an Ikonen bietet. Wir haben also hier ein gemeinsames Glaubensfundament. Darum muss ich nicht orthodox sein, um eine Ikonenspiritualität leben zu können. Wenn der Papst beispielsweise am Ostersonntag den Ikonenritus auf dem Petersplatz zelebriert, dann hüpft mein Herz vor Freude: Zwei Diakone öffnen feierlich die Auferstehungsikone, während ein Chor den lateinischen Hymnus «O filii et filiae» singt. Traumhaft! Im römisch-katholischen Glauben hat es Platz für Ikonen.

Was erhoffen Sie sich für die Katholische Kirche?
Mir tut es leid, dass unsere Kirche sich so sehr auf die Struktur fixiert hat, ja fast verkrampft ist. Die Kirche ist zwar hierarchisch und die hierarchischen Strukturen müssen aktualisiert werden, aber die Kirche ist auch sakramental-lebendig unterwegs. Sakramental meine ich hier in einem weiten Sinn: Die Kirche ist für die Welt ein Sakrament, ein Ort, an dem die Welt Jesus Christus erkennen und ihm begegnen kann. Ich glaube, wir Katholiken würden guttun, wenn wir das Sakramentale für die heutige Welt pflegen würden. Gott schenkt immer mehr, als es einem Einzelnen zukommt, und sein Geschenk ist kirchlich. Was die Kirche von heute daher erwartet, das ist schon in ihr: Jesus Christus. Ist sich die Kirche bewusst, dass Jesus Christus ihr einziger Bezugspunkt ist?

Herzlichen Dank für das interessante Gespräch und einen gesegneten Sommer.
Ich danke auch und ich wünsche allen Leserinnen und Leser die Freude am Glauben.
 

Mike Qerkini (37) ist in Kreuzlingen TG aufgewachsen. Ursprünglich kommt er aus dem Südosten von Kosovo, Stublla e Epërme. Er studierte Religionspädagogik und Theologie in Luzern und erwarb an der Theologischen Hochschule Chur seinen Master in Theologie und das Lizenziat in Liturgiewissenschaft. 2019 wurde er in der Kirche St. Martin Schwyz zum Priester geweiht. Zurzeit stellt er seine Dissertation in liturgischer Bildtheologie fertig. Neben seiner wissenschaftlichen und pastoralen Arbeit ist er Rektor der «Ikonen-Schule».


Ikonen-Ritus am Ostersonntag 2024 in Rom (ab Minute 9:00)


Rosmarie Schärer
swiss-cath.ch

E-Mail

Rosmarie Schärer studierte Theologie und Latein in Freiburg i. Ü. Nach mehreren Jahren in der Pastoral absolvierte sie eine Ausbildung zur Journalistin und arbeitete für die Schweizerische Kirchenzeitung SKZ.


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Bemerkungen :

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    Adelina Sommer 02.07.2024 um 14:53
    oh, das Gespräch mit Vikar Mike ist wirklich interessant. Er lebt seinen Glauben und seine Berufung aus Überzeugung. Die Theologie, die er vertritt, hilft auch anderen den katholischen Glauben zu leben. Vielen Dank für die persönlichen Worte im Interview.
    • user
      Meier Pirmin 02.07.2024 um 17:23
      Die Erklärung, dass der hier Bewunderte auf ganz andere Weise katholisch ist als heute üblich, hat Herr Tessari wohl zurecht genannt, dass er aus einem Land kommt, wo die grosse Mehrheit Muslime sind. Bei diesen lernt man, dass man sich für seinen Glauben nicht entschuldigen soll, sonst kann man gleich einpacken. Was seine "Theologie" betrifft, frage ich mich, wie tiefgründig zu seiner Generation die Ausbildung an seinen Studienorten noch geleistet werden konnte. Der letzte Kenner des Schweizer Katholizismus in Luzern mit Spitzenwissen ist soeben vor gut einem Monat feierlich in Pension geschickt worden.
  • user
    Claudio Tessari 02.07.2024 um 08:42
    Was im Artikel nicht steht und ich ergänze möchte ist, dass Vikar Mike aus einem Land kommt, wo 95% Muslime sind. Es ist sehr schön und lobenswert, dass die Familie trotzdem, den katholischen Glauben gelebt hat und ihm Platz gelassen hat. In Letnica, einem Ort im Kosovo wo früher die Kroaten wohnten, steht die berühmte MARIEN KIRCHE, wo die heilige Mutter Teresa für ihre Beruf gebetet hat, und schlussendlich auch die Antwort für die Mission nach Indien erhalten hat. Möge die Muttergottes von Letnica, den Vikar Mike segnen und begleiten auf seinem Weg.
  • user
    Meier Pirmin 01.07.2024 um 10:23
    "Meine Eltern haben dem katholischen Glauben im Alltag Raum gegeben." Ein starker Satz. An der Grenze des total Ausgeschlossenen wäre es wohl, anzunehmen, es würde jemand heute wegen dem in der Schule noch angebotenen Ethik- und Religionsunterricht noch zu einer solchen Berufung gelangen. Was jedoch nicht aussschliesst, dass davon Anregungen ausgehen können.
  • user
    Kurt Wiedmer 01.07.2024 um 09:53
    Lieber Vater Mike, vielen Dank 🙏 für den schönen Beitrag und ihren hingebungsvollen Dienst. Danke speziell, dass Sie heute die Ikonen meinen Frau noch ausbessern und segnen. Der HERR möge es Ihnen reich vergelten 🙏📿
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      Mike 01.07.2024 um 20:41
      Vielen Dank für die lieben Worte. Sehr gerne! Ich wünsche viel Freude an den wunderschönen Ikonen. Da musste ich gar nicht viel ausbessern :)
  • user
    Stefan Fleischer 01.07.2024 um 09:37
    Ob wir nicht

    in unserem Reden über Gott und die Kirche uns wieder mehr um das kümmern sollten, was Gott und die Kirche von uns erwarten, statt fast immer nur um das, was wir von Gott und der Kirche erwarten?

    Sicher, wir können und dürfen viel, sehr viel von Gott erwarten. Wenn wir aber vergessen, was Gott von uns erwartet, riskieren wir all die Geschenke zu übersehen, die ER uns machen will, die abzuholen wir nur nicht zu faul sein sollten. Es sind aber genau diese Geschenke, die wir als solche sehen und annehmen sollten, auch wenn wir sie nicht immer begreifen, welche die für uns wertvollsten sind, für unser Leben hier und jetzt, und nicht zuletzt für den Weg in die ewige Heimat.