(Bild: parischatres.info)

Weltkirche

Wallfahrt Paris-Chartres: Ein Glaubenszeugnis von einmaliger Ausstrahlung

Seit über 40 Jahren ziehen jedes Jahr Tausende vorwiegend junge Pilgerinnen und Pilger über Pfingsten zu Fuss von Paris nach Chartres. Auch dieses Jahr waren rund 18 000 Gläubige gemeinsam auf dem Weg, darunter rund 170 Schweizer. Ein Erlebnisbericht.

Die Wallfahrt von Paris nach Chartres startet seit dem Brand der «Notre Dame de Paris» von der Kirche «Saint Sulpice» aus. Hier versammelten sich die Pilgerinnen und Pilger am Samstag, 18. Mai, zur Messe, bevor sie die erste Tagesetappe von etwas mehr als 40 Kilometer in Angriff nahmen. «Bei Sonnenaufgang des Pfingstsamstages trafen wir, mit Christus im Herzen, dem Rosenkranz in der Hand und einem Gebet auf unseren Lippen, wie 18 000 weitere junge Katholikinnen und Katholiken aus aller Herren Ländern in Paris ein», erinnert sich Ivan Abramović, der zum ersten Mal an der Wallfahrt teilnahm.

Für langjährige Pilger wie Niklaus Lusser begann die Wallfahrt bereits zu Hause. «Als ich für die Wallfahrt packte, kam mir wieder in den Sinn, worauf ich mich einlasse: Auf zwei unbequeme Nächte im Car, zwei schlechte Nächte im Zelt, Blasen an den Füssen, Schmerzen in den Hüften oder Knien beim Gehen, Hitze oder Regenschauer.» Und als er daran dachte, dass andere zu Hause ein verlängertes Wochenende mit Grillplausch, einem kühlen Bier und einem weichen Bett verbringen, dachte er wieder: «Meine Güte, auf was lässt du dich da ein?!»

Doch er machte sich zusammen mit den anderen Pilgerinnen und Pilgern aus der Schweiz auf den Weg. Aus langjähriger Erfahrung weiss er, dass Chartres ein Gnadenort ist. «Es sind grosse Gnaden, die von dieser Wallfahrt ausgehen. Schwierige Entscheidungen im Leben können besser gefällt werden. Es gibt plötzlich unglaubliche Veränderungen, es werden Dinge herbeigeführt, von denen man noch nicht einmal träumte.» Doch auch stille, verdeckte Gnaden durfte er bei sich und anderen erleben. Nicht nur Niklaus Lusser, sondern auch ganz viele andere, die immer wieder an der Wallfahrt teilnehmen, haben die Gewissheit: Um das, was man in Chartres deponiert, kommt die Muttergottes nicht drumherum, auf irgendeine Art und Weise zu helfen. «Das beflügelt mich immer wieder und gibt mir den Ansporn, ein weiteres Mal mitzugehen, so auch dieses Jahr. Ich bin noch nie enttäuscht worden.»

Gebete, Freundschaften und schmerzende Füsse
Nach der Eröffnungsmesse brachen die Pilger auf. «Wir trugen unsere Heiligenbilder, unsere Landesfahnen und unsere Hoffnung mit – ein Sinnbild der weltumfassenden Kirche auf dem Pilgerweg ins himmlische Jerusalem», beschreibt Ivan Abramović diesen ersten Eindruck.

Die Wallfahrt in das 100 Kilometer entfernte Chartres wurde in drei Tagesetappen aufgeteilt. Am Samstag und Sonntag marschierten die Pilger je 40 Kilometer, am Montag waren es «nur noch» 20 Kilometer. Diese langen Strecken fordern ihren Tribut: Blasen an den Füssen und Schmerzen in den Gelenken. Aber auch das Wetter ist ein wichtiger Faktor. «Wir hatten schon drei Tage Dauerregen und sind durch Schlamm gewatet», erzählt Niklaus Lusser. «Wir hatten aber auch schon drei Tage Hitze mit den entsprechenden Problemen.» Dieses Jahr gab es von allem etwas – eigentlich perfektes Pilgerwetter. Am Samstag hatte es stark geregnet, an den weiteren Tagen war es trocken und nicht zu heiss, bis sich die Himmelsschleusen bei der Abschlussmesse abermals öffneten …

Doch die Pilger haben immer das Ziel vor Augen. «Was uns antreibt, ist die Gewissheit, dass wir uns auf die Muttergottes zubewegen, dass sie auf uns wartet und dass wir wirklich alles vertrauensvoll in ihre Hände legen dürfen.»
 


Kraft geben auch die Begegnungen mit anderen; hier entstehen oft tiefe Freundschaften. «Ich habe noch nie einen Anlass gesehen, an dem Menschen so rasch und so tief zusammenrückten, sich unterstützten und einander freundschaftlich und liebevoll begegneten», so Markus Lusser, der jüngere Bruder von Niklaus Lusser, und führt aus: «Wir haben oft Pilger, die sich einfach einmal anmelden, ohne jemanden zu kennen und nicht selten Freundschaften fürs Leben knüpfen. Denn gerade auf dem Weg während diesen drei Tagen wird einem auch bewusst, welche Werte Beziehungen wirklich ausmachen und da sind die Gemeinsamkeiten im Glauben, aber auch das Teilen von Freuden und Leiden eben schon sehr zentral.»
Ivan Abramović war bei seiner ersten Chartres-Wallfahrt berührt von der Einheit und Kameradschaft unter den Pilgernden, die alle Sprach- und Kulturbarrieren überwanden. Beeindruckt hat ihn auch, dass 18 000 vorwiegend junge Menschen aus der ganzen Welt über Tage an ihre Grenzen gingen und ohne Skandale und Exzesse zusammenfanden. «Ein starker Gegensatz zu säkularen, interkulturellen Grossveranstaltungen wie beispielsweise dem jüngsten Eurovision Song Contest. Im Gegensatz zu ‹united by music› ist die Einheit in Christus so tief, dass sie in der Tat alle Grenzen überwindet.»

Auf den ganzen 100 Kilometern des Pilgerwegs habe er nicht ein einziges Mal Abfall am Wegrand gesehen. Doch die Pilger brachten nicht nur der Natur Respekt entgegen. Ivan Abramović ist noch immer beeindruckt von der Ehrfurcht und dem Respekt aller Pilgernden vor dem Allerheiligsten Sakrament der Eucharistie – so auch an der überwältigenden, von gregorianischen Gesängen bereicherten Messe im Freien am Pfingstsonntag.

Die Menschen kommen oft mit grossen Sorgen auf die Wallfahrt. Es gibt unglaublich berührende Geschichten, von denen man häufig erst nach der Wallfahrt erfährt. «Man sieht immer wieder beeindruckende Bilder von Menschen, die mit schweren Anliegen beladen kommen, aber auch mit grosser Hoffnung», erzählt Niklaus Lusser. Und er kommt auf einen wichtigen Aspekt der Wallfahrt zu sprechen: «Ich sehe Menschen, die mit Blasen an den Füssen wirklich leiden, die alle Schmerzen heldenhaft aufopfern. Das hinterlässt tiefen Eindruck bei mir.»
Als langjähriger «Chef de Chapitre» erhält Markus Lusser immer wieder durch Gespräche Einblick in Einzelschicksale. So haben nicht wenige Menschen dank dieser Wallfahrt den Weg zum Glauben gefunden oder auch mal den Partner fürs Leben. Andere haben mit schweren Entscheidungen gerungen und Lösungen gefunden. «Aber man muss den Weg erst gehen, und so hatten wir in diesem Jahr auch einen Mitpilger dabei, der vor über einem Jahr sein Dach über dem Kopf verloren hat und seither auf Sofas bei Freunden übernachtet und sich durchschlägt. Dennoch hat er diese Reise auf sich genommen.» Markus Lusser warnt davor zu glauben, dass bei einer Teilnahme an dieser Wallfahrt stets Zeichen und Wunder im eigentlichen Sinne passieren. «Vor einigen Jahren wurden wir über ein schweres Familienschicksal eines Mitpilgers informiert und wir haben innig um Heilung gebeten. Diese ist aber nicht eingetreten. Man darf keine falsche Erwartungshaltung gegenüber Gott haben, nur weil man eine Wallfahrt unternimmt.»

Die streitende Kirche wird sichtbar
Niklaus Lusser geht nun schon seit 27 Jahren mit auf die Wallfahrt von Paris nach Chartres. Er hat auch schon viele andere Fusswallfahrten unternommen, doch diese Wallfahrt hier ist in seinen Augen einzigartig. «Was mir in Chartres ganz besonders gefällt: Es ist die lange Tradition einer gewaltigen Gebetsstreitmacht. Wir machen keine Politik, wir reden nicht über die grossen Probleme der Zeit. Die ganz Kraft von 15 000 bis 20 000 Menschen stecken wir ins Gebet. Wir bestürmen den Himmel gemeinsam, wir sind eine geistige Streitmacht, ein geistiges Heer.»
Beim Aufbruch am Morgen sieht man bis zum Horizont Kolonnen mit Menschen, die beten, blickt man zurück, sieht man ebenfalls endlose Kolonnen von Beterinnen und Beter. «Als kleiner Tropfen im Ozean erblickte ich nie den Anfang oder das Ende der unendlich scheinenden Pilgerkolonne», so beschreibt Ivan Abramović sein Gefühl inmitten der Pilgerschar.
Niklaus Lusser ist der Meinung, dass man diese geistige Kraft des Gebetes nicht unterschätzen darf, wenn es darum geht, einen Gegenpol zu setzen zu einer Welt, die zunehmend säkularisiert, zunehmend auch dämonischen Gewalten ausgesetzt ist. Angesichts dieser vielen Menschen, die hier zusammen im Glauben unterwegs sind, bringt er das Bild der streitenden Kirche. «Die triumphierende Kirche ist da, unsichtbar. Aber die streitende Kirche wird hier auf ganz besondere Art und Weise sichtbar.» Die Menschen beten, opfern und sühnen auf dem Weg gemeinsam.

Ivan Abramović hatte sich in den Wochen vor der Wallfahrt oft Sorgen um den katholischen Glauben in Europa gemacht, doch «mit 18 000 knienden Pilgern um mich herum, die wie ich wussten, dass Gott in Fleisch und Blut unter uns ist, schwanden meine Sorgen und Zweifel dahin. Es war der Heilige Geist, der, wie einst über Christi Jünger zu Pfingsten, Mut und Hoffnung über uns Pilgernde ergoss.»
 


100 Kilometer später, erschöpft und müde, erreichten die Pilger ihr Ziel: Die Kathedrale von Chartres. Man sah den Menschen an, dass sie erschöpft waren, dass sich aber das Mühen wirklich gelohnt hat. «Ich sass müde am Boden, konnte jedoch alle Anliegen übergeben, alles der Mutter Gottes hinlegen, im festen Vertrauen, dass sie uns segnet und unter ihren Schutzmantel nimmt,» erzählt Niklaus Lusser.

Eine alte christliche Tradition
Dass Niklaus Lusser heute regelmässig an der Wallfahrt dabei ist, verdankt er seinen Eltern, die ihn als Kind mitgenommen haben. Auch während seiner Schulzeit und im Studium ging er treu mit. Meistens hatte er unmittelbar nach der Wallfahrt irgendwelche Abschlussprüfungen. «Ich habe mich nie abhalten lassen, bin immer mitgegangen und habe erstaunlicherweise immer sehr gute Resultate schreiben dürfen, obwohl todmüde und schlecht vorbereitet. Man hat gemerkt, der Heilige Geist wirkt hier und honoriert, dass man Pfingsten auf dieser Wallfahrt verbracht hat.»

Inzwischen ist er selbst Vater und mehrere seiner Kinder haben ihn nach Chartres begleitet. Dieses Jahr war seine 14-jährige Tochter Catalina zum dritten Mal dabei – und lernte in den Pausen und im Car fleissig für eine Physikprüfung, die sie am Dienstag hatte.

Er ist überzeugt, dass seine Kinder diese Tradition weiterführen werden und irgendwann ihre eigenen Kinder ins Wallfahren einführen. «Es ist eine alte Tradition der Christenheit, die hier lebt und weitergegeben wird von Generation zu Generation. Ich bin stolz darauf, dass auch meine Kinder hier mitmachen.»

Was nicht unerwähnt bleiben darf, ist die unglaubliche Organisation, die hinter der Wallfahrt steckt. Mehrere Hundert Menschen stehen jedes Jahr im Einsatz, damit alles klappt, angefangen von der Verpflegung über ärztliche Betreuung bis zum Verkehrsdienst, damit die kilometerlange Kolonne von Pilgern sicher an ihr Ziel kommt. «Sie marschieren nicht mit, aber ihren Einsatz, den sie für diesen geistigen Kampf in die Waagschale werfen, ist nicht zu unterschätzen», zeigt sich Niklaus Lusser beeindruckt. Auch der «Chartrespilgerverein Schweiz» leistet viel Arbeit, damit diese wunderbare Wallfahrt möglich wird. Niklaus Lusser hofft, dass noch viele Menschen in der Schweiz diese Wallfahrt entdecken. Denn auch wir haben das Gebet für unsere Heimat nötig.

 

Der «Chartrespilgerverein» ist auf Facebook und Instagram präsent.

Informationen zur Wallfahrt Paris–Chartres Link

 


Rosmarie Schärer
swiss-cath.ch

E-Mail

Rosmarie Schärer studierte Theologie und Latein in Freiburg i. Ü. Nach mehreren Jahren in der Pastoral absolvierte sie eine Ausbildung zur Journalistin und arbeitete für die Schweizerische Kirchenzeitung SKZ.


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Bemerkungen :

  • user
    Claudio Tessari 28.05.2024 um 17:20
    Den glaubenstreuen Katholiken gehört die Zukunft!
  • user
    Anita 26.05.2024 um 06:56
    Ein wunderbarer Artikel, der stärkt und ermutigt... bravo an alle Pilger...unsere Tochter war zum ersten Mal dabei... und das grosse "pilgernde" Gottesvolk hat sie tief beeindruckt...
  • user
    Meier Pirmin 25.05.2024 um 08:35
    Ich mache, bei Freude über die Priorität solcher Artikel, noch einmal auf meine ergänzende Ausführungen aufmerksam unterhalb des ebenfalls lesenswerten Artikels der gleichen Verfasserin vom 17. Mai kurz vor Pfingsten. Einerseits bleibt zu anerkennen, dass die Fusswallfahrtstraditionen nach Einsiedeln von vergleichbarem europäischen Rang sind wie Chartres, der Jakobsweg und anderes; siehe auch meinen Hinweis auf das Labyrinth vor der Kirche Schindellegi in Analogie zu demjenigen in der Kathedrale von Chartres.

    Dass mit Prof. Joseph Deiss ausgerechnet ein Schweizer ehem. Bundesrat, Aussenminister u. Präsident der UN-Generalversammlung zwei Bücher geschrieben hat über die Via Francigena, den selbst abgewanderten Fussweg von Canterbury nach Rom, bezeugt, dass es nicht nur ein Europa der Brüsseler Bürokratie gibt, von Euromarkt und Euratom, sondern auch ein Europa der Kathedralen. Auch wenn die genannten Bücher völlig legitim auch von weltlichen, sogar wirtschaftliche Entwicklungen mitreflektierenden Gedanken erfüllt sind: bei Gesprächen mit Menschen am Weg und Beobachtungen des modernen Verkehrs aus Sicht eines "Fernwanderers", wie Deiss sich im Buchtitel unter Vermeidung des Begriffes "Pilger" nennt. Horizonterweiterungen dieser Art wären nicht nur allen Gläubigen, sondern zumal den heutigen Politikern zu wünschen. Es geht dabei nicht darum, ob man tagespolitisch eher mit Deiss oder Blocher oder mit keinem von beiden voll übereinstimme, wie es im Grunde mir ergeht. Politiker, die nicht über eine spirituelle und/oder theologische Dimension verfügen, bei beiden Alt-Staatsmännern im Ansatz vorhanden, fehlt die Tiefe des Fernüberblicks.